p) Menschliche Natur in chinesischer Philosophie

Themen dieses Kapitels:

Zusammenfassung der Ausführungen Professor Guo Yis über die Themen der menschlichen Natur in der chinesischen Philosophie (Huaismus)

Vorwort

Verabredet wurde auch, dass, im Hinblick auf den Vortrag von Professor Guo Yi , einige Grundfragen bzw. –ansichten der chinesischen Philosophie erörtert werden.
Festzustellen ist, dass die vorphilosophischen Wurzeln des chinesischen Denkens viele Ähnlichkeiten mit denen der indogermanischen Kulturen aufweisen. Beispiele sind: das dreistöckige Weltbild. das Urchaos, der Urkampf der kosmischen Kräfte, die Sintflut und die Herstellung einer Weltordnung (durch „himmlische“ Kräfte). Am Anfang der mythischen Zeit stehen die Drei Erhabenen mit FUXI an der Spitze und NÜGUA, die als seine Gattin bezeichnet wird. Der dritte ist SHENNONG (der göttliche Landmann). Die drei Erhabenen sind Gründer – sie setzen dem Urchaos ein Ende. Dann folgt das Zeitalter der (zum Teil legendären) Herrscher und danach das Zeitalter der Drei Dynastien (Xia, Yin, Zhou). Das Urpaar, Fuxi und Nügua, personifizieren das Yang und Yin. Die Grundlage für eine weise Regierung wird auf die Wirkung von Fuxi und Nügua, die die menschliche Grundordnung sicherten, zurückgeführt. Während der Zeit der Zhou –Dynastie (1111 v. Chr – 249 v. Chr.) findet der Übergang von einer Stammesgesellschaft zu einem Feudalstaat statt.
Der renommierte chinesische Gelehrte, Professor Wing-Tsit Chan (WTC), der ein klassisches Standardwerk über die Quellen der Chinesischen Philosophie (Princeton, 1963) verfasst hat, ist der Auffassung dass, wenn es ein Wort gibt, das die ganze Geschichte der Chinesischen Philosophie charakterisieren kann, dann ist es das Wort „Humanismus“. Dieser Begriff leugnet nicht eine Höchste Macht, sondern verkündet die Einheit von Himmel und Mensch. In diesem Sinne hat Humanismus das chinesische Denken von Anfang an dominiert. Er weist darauf hin, dass Humanismus keineswegs ein Ergebnis der Spekulation, sondern des historisch – sozialen Wandels ist. Die Herrscher der Zhou – Dynastie mussten ihr Recht (zu regieren) rechtfertigen. Infolgedessen entwickelten sie die Lehre des „Himmelsmandats“ (Mandate of Heaven), d. h. ein autonomes Moralgesetz, dessen Zentrum die Tugend (Virtue) bildet. Nach dieser Lehre ist das menschliche Schicksal – sterblich sowie unsterblich – nicht
von der Existenz der Seele vor der Geburt oder nach dem Tod bzw. auch nicht von „der Laune einer spirituellen Kraft“, sondern von den eigenen guten Worten und Taten abhängig. (WTC,3).
Die Zhou - Herrscher haben das Recht zu regieren durch ihre Tugendhaftigkeit verdient.
Dies war eine radikale Entwicklung und unterscheidet die Shang – Zeit (1751 – 1112 v. Chr.) von der Zhou – Zeit danach. Das Wort für Tugend „te“ bzw. „de“ findet man nicht in Shangartifakten, aber ist ein Schlüsselwort in Zhou- Dokumenten. In der Shang – Zeit war der Einfluss von spirituellen Wesen (spiritual beings) nahezu „total“. Nichts konnte ohne ihre Zustimmung getan werden. In der Zhou – Zeit wurde alles durch die Herrscher geregelt. Das „Buch der Riten“ sagt „ die Menschen von Yin (Shang) verehren spirituelle Wesen, dienen ihnen und achten sie höher als Rituale („Zeremonien“)…..die Menschen von Zhou achten Rituale und schätzen (daraus entstehende) gunstvolle Taten hoch. Sie dienen spirituellen Wesen und respektieren sie, aber sie halten sie auf Abstand. Sie bleiben menschnah und menschtreu“ (WTC, 4).

Literatur
Chantal Zheng: Mythen des alten China, München 1990,
WTC: Chan,Wing-Tsit: A Source Book in Chinese Philosophy, Princeton 1973, 4th Printing.
Vgl. auch: Konfuzius, Gespräche, Reclam Nr. 9656 (bitte das Nachwort lesen).
Lao – Tse: Tao – Te – King, Reclam Nr. 6798
H. Schleichert / H. Roetz: Klassische chinesische Philosophie, 3. Auflage, Frankfurt 2009



A) Herr Professor GUO YI (Peking/Beijing) spricht zu uns über das Thema „ Zwischen Tugend und Begehren: Theorien der menschlichen Natur im Früh-konfuzianismus“. Der Vortrag wird in englischer Sprache gehalten und gleichzeitig übersetzt. Der englische Titel lautet: „BETWEEN VIRTUE AND DESIRE - - THE ORIGIN AND EARLY DEVELOPMENT OF HE THEORIES OF HUMAN NATURE IN CHINA”



Die Sitzung fand in einem Saal der Karl – Rahner Akademie statt. Sehr erfreulich war die große Anzahl der Teilnehmer und Interessenten. Professor Guo Yi sprach Englisch. Gelegentlich wurden seine Worte (nach Bedarf!) auch ins Deutsche übersetzt. Sehr aufschlussreich waren seine Gedanken über das ursprüngliche Anliegen der chinesischen Philosophien: die Frage nach der menschlichen Natur. Nach Professor Guo Yi wird die menschliche Natur „vom Himmel empfangen“ und ist „der Anfang der Moral“ sowie „die Wurzel der Chinesischen Philosophie“. Dies zeigt sich in der ganzen Geschichte der Philosophie und ganz konkret in den Theorien der menschlichen Natur, d. h. auch im Daoismus. (A) Bei einem Treffen des Fünferrats waren wir uns darüber einig, dass die These von Professor Guo Yi auch der Fragestellung entspricht, mit der sich Satyakama seit einiger Zeit beschäftigt: was ist der Mensch? Könnte dies auch ein gemeinsamer Ausgangspunkt für den interkulturellen Dialog heute sein? (B) Das wäre genauer zu klären.

ZWISCHEN TUGEND UND BEGEHREN –
THEORIEN DER MENSCHLICHEN NATUR IM FRÜHKONFUZIANISMUS
(deutsche Übersetzung des Textes von Professor Guo Yi)

VORWORT
Die menschliche Natur, die vom Himmel (Way of Heaven) empfangen wird und der Anfang der Moral ist, ist eigentlich die Wurzel der Chinesischen Philosophie und die Lebenslinie
(lifeline) der Chinesischen Kultur. Im Allgemeinen ergründen die meisten chinesischen Philosophen ihre philosophischen Systeme durch das Erforschen der Fragen // Probleme der menschlichen Natur. Damit standen Theorien der menschlichen Natur im Vordergrund.
Trotzdem ist es bedauerlich, dass manche fundamentalen Fragen bezüglich der Geschichte der
Theorien der menschlichen Natur in China sowie der Kern der Theorien der menschlichen Natur in China und die die daraus sich entwickelnden Tendenzen nicht ganz klar sind. Auch die Forschungsmethodologie bietet manche Probleme.
Als chinesische Philosophie umfangreicher und tiefgehender während der Song und Ming Dynastien wurde, entwickelte sich auch die Theorie der menschlichen Natur in weitem Maße. Darüber hinaus bietet sie einen hohen Maßstab für das Verständnis der ganzen Geschichte der
Theorien der menschlichen Natur in China. Die Idee des Dualismus der menschlichen Natur
ist zweifellos ein Durchbruch in der Geschichte der Theorie der menschlichen Natur in China. Neukonfuzianer teilten die menschliche Natur in: die eine die sogenannte Natur der Vernunft, die andere in die Natur der Materie.
Diese Teilung gab es von Anfang an, obgleich sie in Begriffen erst in der Song-Zeit erörtert
wurden. Wenn man versucht, die Theorien der menschlichen Natur in der Vor-Quin-Zeit zu überblicken, finden wir, dass die Grundinhalte sich auf folgende Begriffe konzentrieren: Himmel (tian), Erteilung (ming), Geist (Mind) (xin) Natur (xing), Emotion (quing), Begehren: d.h. „Desire“ (Yu), der Weg (Tao), Tugend (DE) und deren gegenseitige Beziehungen.
Bei diesen Begriffen steht Tugend für das menschliche Wesen (human Essence) und Begehren für menschlichen Instinkt (human instinct). Diese haben jeweils mit der Natur der
Vernunft und der Natur der Materie zu tun. Die Beziehung der genannten Begriffe zueinander ist nicht nur die Schlüsselfrage der Theorie der menschlichen Natur in der Vor-Quin-Periode , sondern ist auch der Hauptfaden, der durch die ganze Geschichte der menschlichen Natur in China läuft. Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus haben die Korrelation zwischen Tugend und Begehren als Anfang und Ziel ihrer jeweiligen Theorien der menschlichen Natur verstanden. Natürlich die konkreten Begriffsinhalte in den genannten Systemen sind sehr unterschiedlich.
Ich bin der Meinung, dass durch die Interaktion der zwei Arten der Natur (two kinds of Nature) die Theorie der menschlichen Natur in China entsprungen ist und sich entwickelte. Viele Probleme können gelöst werden, wenn wir diesem Gedankengang folgen, um die Theorie der menschlichen Natur in China zu entdecken.

Das verstehen der menschlichen Natur ist durch einen Prozess vom Begehren zu Tugend gelaufen, oder von menschlichem Instinkt zum menschlichen Wesen. Vor Konfuzius war Xing (oder Natur) Begehren und Instinkt, d.h. die Natur der Materie. Das Grundproblem der
Theorie der menschlichen Natur in der damaligen Zeit kann man als das Steuern (manage) der Natur durch Tugend, die Kontrolle der Natur durch Tugend und das Bereichern der Natur durch Tugend bezeichnen. Später eine neue Idee, um Natur durch Qi zu erklären zu erklären, entwickelte sich die Theorie der menschlichen Natur weiter. Lao Zi und (frühe) Konfuzius nahmen De oder Tugend als das Wesen (inner essence) der menschlichen Natur an. Später
versteht Konfuzius De oder Tugend als Xing oder Natur und damit fand die fundamentale
Transformation zur traditionellen Theorie der menschlichen Natur statt. Tatsächlich ist dies die Quelle der Natur der Vernunft und der Ursprung der Theorie, dass die menschliche Natur
gut ist. Die Bezeichnung der menschlichen Natur als Tugend , d.h. als das Wesen des Menschen, ist ein Zeichen dafür, dass die Theorie der menschlichen Natur in China reif (mature) geworden war.

Danach teilte sich der mächtige Strom der Theorien der menschlichen Natur in der Vor – Quin – Periode in zwei Zweige. Die neue Tradition versteht Tugend als Natur und (geht) von einem inneren moralischen Apriori („inner moral apriorismus“) (aus), das später durch Konfuzius entwickelt wurde. Darauf folgte die Idee von Zisi, dass, was der Himmel erteilt, Natur genannt wird. Dies wurde durch die Theorie von Mencius entwickelt, dass Menschen gut geboren sind. Der andere Zweig ist die Entwicklung der alten Tradition, die Yu oder Begehren als Natur versteht. Es ist interessant, daß Zisi Yu (oder Begehren) von Xing (oder Natur) beseitigt, damit er einerseits der neuen Tradition folgt, andererseits versteht er Begehren als Zhong (oder das Innere) und folgt damit der alten Tradition. Der Bambus-Text Xing Zi Ming Chu entwickelte nicht nur Zisi Ideen über Zhong, sondern versteht sie auch als Natur. Dadurch konstruiert er ein einmaliges System eines „outer moral apriorism“ der die alte Tradition stärkte. Dies bedeutet, dass beide Theorien der menschlichen natur (von Mencius und von Xing Zi Ming Chu) Zisis Theorie als Ausgangspunkt nehmen.
Wir sahen die historischen Standorte (historical positions) der zwei Zweige im Konfuzianismus der Vor-Quin-Periode aus ? Nach dem überlieferten historischen Befund vertreten nur drei Philosophen (Konfuzius, Zisi und Mencius) die neue Tradition. Die meisten
Gelehrten wie Xing Zi Ming Chu vertreten die ältere. Die alte Tradition war der Hauptstrom damals. Im allgemeinen kann man sagen, dass die Theorien der menschlichen Natur zwischen
der „kriegerischen – Staaten – Periode“ und der Späteren Tang-Periode zu der alten Tradition gehören. Dieneue Tradition ging gleichzeitig verloren, bis die Gelehrten zwischen den alten Tang-und Song-Dynastien sie zurückholten. Tatsächlich der Dualismus der menschlichen Natur in den Song- und Ming-Dynastien machten beide Traditionen (alt sowie neu) zu einem System.

B) Die Frage nach der MENSCHLICHEN NATUR als Grund-anliegen des Konfuzianismus // Daoismus, sowie der indischen und abendländischen Philosophien: Der Vortrag von Professor Guo Yi (Beijing) über den Konfuzianismus gestern und heute B. Erste Überlegungen hinsichtlich der Relevanz für den interkulturellen Dialog heute

Die Zusammenfassung besteht aus folgenden Abschnitten:

a. War „Australopithecus sediba“ der Urahn der Chinesen, der Inder und der Europäer?
b. Einige Vorbemerkungen zur chinesischen Philosophie (HUAISMUS)
c. Gedankenaustausch über den Vortrag von Professor Guo Yi.

a. Vor etwa vier Wochen wurde in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ berichtet, dass Archäologen vor drei Jahren in der Malapa – Höhle (bei Johannesburg) fünf vollständige Skelette gefunden haben. Die „Geschöpfe“ starben vor 1,78 bis 1,95 Millionen Jahren. Auch wenn es unmöglich erscheint, einen endgültigen Stammbaum des Menschen zu erstellen, gibt es Forscher, die meinen, Australopithecus sediba „sei ein guter Kandidat für den Platz des Stammvaters aller Menschen“. (Wir halten Sie auf dem Laufenden) b. Einige Vorbemerkungen
Von Professor Guo Yi hörten wir, dass die Chinesen selber ihre Philosophie als HUAISMUS bezeichnen würden: von HUA, dem Namen für China.
Über den besonderen Charakter der chinesischen Philosophie wurde mehrfach in den voraus-gegangenen Sitzungen gesprochen. Einige Europäer meinen, Huaismus habe keine (ausgearbeitete!) Metaphysik oder Logik, sondern lediglich eine Ethik (1). Moderne chinesische Denker (2) machen darauf aufmerksam, dass die gesamte Geschichte des Huaismus auf die Frage des Menschseins („Humanismus“) ausgerichtet war. Durch die Gespräche mit Professor Guo Yi (abends am Rhein nach der Sitzung in Juni) bin ich darauf aufmerksam geworden, dass es im Huaismus nicht nur um Himmel und Mensch ging, sondern, dass es sich um die Einheit von Himmel, Mensch und Erde handelte. Dies kann man eindeutig m. E. mit einem Zitat aus dem (späteren) Taoismus belegen. Meine Frage: ist dies nicht eine Grundperspektive von aller Philosophie, d. h. von allen Kulturen?
Man kann auf jeden Fall feststellen, dass man im alten China kein ausgeprägtes Gottesbild (wie bei den Indern und Europäern) entwickelt hat (am nächsten m. E. kommt der Begriff „Tao“.) Immer wieder ist die Rede von einem „Himmelsmandat“ bzw. von einem „Weg des Himmels“, d. h. es gibt kein personales Gottesbild. Denn das Himmelsmandat zeigt sich im menschlichen Verhalten, in der Tugendhaftigkeit.
Was ist aber ein „personales Gottesbild“? Was ist eine „Person“? Es wurde darauf hin-gewiesen, dass der Personenbegriff durch das christliche Verständnis (Dreifaltigkeit) weitgehend mitgeprägt ist, um das Verhältnis von Gott und Geschöpf als ein „ich – Du Verhältnis“ zu deuten. Ein vergleichbarer Begriff in der indischen Philosophie wäre „Purusha“ (eigentlich: Mensch!). (Gibt es Vergleichbares im Huaismus?)

c. Zum Vortrag von Prof. Guo Yi (am September 21, 2011)
Im Vorwort (3) zu seinem Vortrag vertritt Professor Guo Yi (hiernach: PGY) die Ansicht, dass die menschliche Natur, „die vom Himmel empfangen wird und der Anfang der Moral ist“, nicht nur die Wurzel von Huaismus sondern gleichzeitig die Rettungsleine der Kultur ist.
In der Zeit der Song- und Mingdynastien (ab 960 AD) entsteht ein „dualistisches“ Denken. Neukonfuzianer teilten die menschliche Natur in zwei: die Natur der „Vernunft“ und die Natur der „Materie“ Bereits in der Vor-Quin-Zeit (bis 221 v. Chr.) hat dieser Prozess begonnen. Doch verstand man unter Tugend (de) das Wesen des Menschen und unter Begehren(yu) den menschlichen Instinkt. Damit meinte man jeweils „Vernunft“ und „Materie“. Bald wurde die Beziehung der zwei Begriffe zueinander zum Hauptfaden der Diskussion über die menschliche Natur in der ganzen Geschichte. Der Prozess des Verstehens verlief einerseits vom „Begehren“ zu „Tugend“, und andererseits vom „Instinkt“ zum „Wesen“. Denn vor Konfuzius hat man Begehren und Instinkt als die Natur der Materie verstanden. Bald meinte man: durch Tugend kann man die Natur steuern, kontrollieren und bereichern. Die weitere Entwicklung: Tugend ist das Wesen der menschlichen Natur, d.h. sie ist gut. So wurde die Theorie „reif“. In der anschließenden Diskussion wurde die Theodizee-frage (woher kommt das „Böse“?) erörtert. Fest steht, dass es bis heute keine befriedigende
Antwort darauf gibt. Denn das Menschenbild ist entscheidend. Damit hängt auch die Frage der Menschenwürde zusammen, die letztlich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens zu tun hat. Aber ist das nicht grundsätzlich eine Glaubensfrage: ob der Mensch gut geboren ist?

1. z. B. in: J. Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, 12. Auflage Stuttgart 1981, 94.
2. Vgl. Wing - Tsit Chan, A Source Book in Chinese Philosophy, Princeton 1973, 3.
3. Dies wurde als Anhang vor der September- Sitzung übermittelt.

C) Die Frage nach der MENSCHLICHEN NATUR als Grund-anliegen der chinesischen, der indischen und der abendländischen Philosophien:
A. Abschließende Überlegungen zum Vortrag von Professor Guo Yi (Beijing) über den Konfuzianismus gestern und heute B. Erste Überlegungen hinsichtlich der Relevanz des Themas für den interkulturellen Dialog heute

Diese Zusammenfassung besteht aus folgenden Abschnitten:
a. Einige Vorbemerkungen bezüglich des Hauptthemas
b. Weitere Entwicklungen im Huaismus bei gleichzeitiger Fragestellung über ähnliche Begriffe / Ansichten in den anderen zwei Kulturräumen
c. eine gemütliche Nachsitzung

a. Einige Vorbemerkungen
Mehrfach in den letzten Sitzungen wurde darauf hingewiesen, dass chinesische Philosophen sich mit dem Menschen bzw. mit Menschlichkeit beschäftigen. Der Ausgangspunkt für einen sinnvollen Dialog ist damit von vorneherein gegeben. Denn auch Inder und Europäer haben sich im Laufe ihrer Geschichte stets die Frage nach dem Wesen des Menschen gestellt. Bei SATYAKAMA wurden auf Kants Formulierungen der Grundfragen immer wieder hingewiesen. Dennoch: aus heutiger Sicht ist festzustellen, dass die Frage nach dem Gottesbild nicht mehr selbstverständlich ist. Philosophen können in einer Welt von (immer mehr) bekennenden Atheisten nicht mehr nur „über Gott und die Welt“ reden. Muss man sagen, wir sollten über „Mensch und Welt“ reden? Denn erst die Antworten auf die Frage nach dem jeweiligen Menschenbild und Weltbild bringen den Begriff „Gottesbild“ hervor.

b. Weitere Entwicklungen in der Geschichte des Huaismus
Am Anfang seiner Ausführungen weist Professor Guo Yi (PGY) darauf hin, dass die chinesische Philosophie bereits vor Konfuzius beginnt. Er nennt die „vorphilosophischen“ Verhältnisse in China. Der Urbegriff „Tien“ meint schlicht „den Himmel“, wie alle Kulturen ihn kennen. Es gab auch „religiöse“ Erscheinungsformen, wie man sie in allen Kulturen findet. PGY nennt z. B.: Ahnen-, Familien- und Heldenverehrung, verschiedene Formen der Naturverehrung, die Hexerei, das Tempelwesen sowie das Feueropfer. Man kann sagen, dass ähnliche Phänomene in den meisten uns bekannten Kulturen zu treffen sind. In China sind in der vorphilosophischen, vorkonfuzianischen Periode in erster Linie folgende Quellen für das Entstehen des Huaismus maßgebend:
1 Yi Jing – das Buch der Wandlungen
2. Chungiu - historische Annalen (des Kleinstaats Lu, der Geburtstadt von Konfuzius)
3. Yili – Das Buch der Riten bzw. Rituale
4. Shujing – das Buch der Urkunden (politische Reden des Hochadels)
5. Shijing – Bücher der Lieder

Nach der Meinung von PGY wurde in der Periode der Zhou – Dynastien (1046 – 771 v.Chr) Tien (der Himmel schlechthin) nicht beachtet, sondern angezweifelt. Da sie die Tugendhaftigkeit (de) vernachlässigten, wurden sowohl der Shia- als auch die Shang- Könige entmachtet. Denn die (menschliche) Natur wird von Tien erteilt. Die Riten spielen dabei eine wesentliche Rolle. In dem anschließenden Gedankenaustausch wurde bemerkt, dass Rituale (nicht nur religiöse!) in jeder menschlichen Gesellschaft eine Schlüsselrolle spielen. Der Mensch drückt sich stets durch eine Vielzahl von Ritualen aus.
PGY meint, dass in der nächsten Periode (z. Zeit von Laozi, 571 – 471 v. Chr.) die Lehre von DAO entwickelt wurde: „Dao erschuf das Eine, das Eine erschuf die Zwei, die Zwei erschufen die Drei, die Drei erschufen die tausenden Dinge“
Gedankenaustausch: womit kann man Dao vergleichen? Da es offenbar um das Absolute geht, wäre der indische Begriff „Brahman“ naheliegend. Für den europäischen Raum müsste man auf die griechischen Begriffe „Arche“ und „Logos“ hinweisen. Bei den „biblischen Wurzeln“ des europäischen Kulturraums wären einerseits die jüdischen Begriffe El(ohim) sowie JHWH andererseits der Begriff des „himmlischen Vaters“ zu berücksichtigen. wie auch im islamischen Raum der Begriff „Allah“.
Da Dao alles erschuf, meint PGY, muss man zwischen dem UR-DAO und dem sekundärem Dao unterscheiden. Es liegt auf der Hand, dass das Urdao Schöpfer und Grundwurzel von „allen Dingen“ ist. Das sekundäre Dao haben die Dinge empfangen. Dies bedeutet, dass „für alle Dinge“ sekundäres Dao DE oder Tugendhaftigkeit ist. Dies gehört zu „yili zhi xing“, d.h. zu der „Natur der Vernunft“ (reason). PGY deutet dies als „das transzendentale Selbst“

Dies war nun der Anlass für die SATYAKAMA – Runde, die Frage schlichtweg zu stellen: ist der Mensch grundsätzlich vernünftig? Es gibt keine einhellige Meinung. Hobbes meinte: „homo homini lupus“, „der Mensch sei dem Menschen ein Wolf“ und auch Rousseau sprach von einem „edlen Wilden“. In der anschließenden Diskussion kam eine Reihe von Ideen bzw. Begriffen zur Sprache, die schwer zu systematisieren sind. Deshalb versuche ich, einige zu nennen.
- Huaismus kennt kein personales Gottesbild, auch nicht, wie Thomas v. Aquino, „Wege“ zu Gott.
- auch die Inder meinen, über Absolutes kann man nichts sagen: „neti, neti“, d. h. „nicht das, nicht das“.
- Christen sprechen von dem „Geheimnis des Glaubens“. Über die Unaussprechbarkeit des Absoluten („Gottes“) scheinen alle Kulturen einig zu sein.
- der Mensch stößt offenbar an seine Grenzen. Die Frage erhebt sich: ist der Mensch die Quelle seines eigenen Seins?
- warum spielt der Begriff „Liebe“ in (nahezu!) allen Kulturen eine zentrale Rolle? Hat die
Liebesbegegnung zweier Menschen einen Ewigkeitscharakter, der auf eine Quelle hinweist?
(Es gab viele andere Äußerungen, die man nicht restlos zitieren kann).
- Helmut Schmidt meint, man kann keine Politik auf der Grundlage der Bergpredigt machen. Mahatma Gandhi war anderer Meinung! Warum sagen deutsche Bundesabgeordnete bei einem Eid: „so wahr mir Gott hilft“?
- über Fragen von Gut und Böse, von Menschenbildern, von Grundwerten muss man stets in Dialog miteinander sein. Daher SATYAKAMA! Es lohnt sich.
Vorschau: PGY stellt die Frage: was ist ein großer Mensch?

D) 1) Abschließendes Gespräch über die Theorien der MENSCHLICHEN


NATUR im


HUAISMUS, nach der Darstellung von Professor Guo Yi
II) Erste Überlegungen hinsichtlich der Relevanz des Themas für den interkulturellen Dialog heute.

Diese Zusammenfassung besteht aus folgenden Abschnitten:
1. Wird das 21. Jahrhundert „chindisch“ sein? Ein Bericht in TIME.
2. Letzter Teil von Prof. Guo Yis (PGY) Vortrag über die menschliche Natur in der chinesischen Philosophie

1. Am Anfang der Sitzung wurde auf die neueste Diskussion im TIME – Magazin hingewiesen, die nach dem Wirtschaftsmodell für das 21. Jahrhundert fragt. Wird dieses Modell sich nach der indischen oder nach der chinesischen Wirtschaftsentwicklung richten bzw. durch sie geprägt? Im Augenblick ist die Antwort „umstritten“. Aber die Medien haben sich entschieden: das Modell wird „chindisch“. Wer kann raten, wo meine Vermutungen liegen? Dennoch: bei SATYAKAMA hat man es vorausgeahnt!!
2. PGY sprach über eine daoistische Grundauffassung (Laozi):
Der Mensch gestaltet sich nach der Erde – die Erde gestaltet sich nach Tian (Himmel)
Tian gestaltet sich nach DAO - Dao gestaltet sich nach Ziran, d. h. dem Ursprung, bzw. der Natur an sich

Ich habe darauf hingewiesen, dass die Frage nach dem Ursprünglichen (dem Woher) ein Grundanliegen aller Philosophie ist. Die Antwort ist sowohl vom Weltbild als auch vom Menschenbild (zusammen betrachtet) einer Kultur abhängig. Für die indische Sankhya-Philosophie bedeutet dies, dass das Ursprüngliche zweierlei gestaltet ist: Purusha (Urmensch, die reine Geistigkeit) und Prakrti (die Urnatur, die Urmaterie). Interessant ist, dass alles, was wir Mensch und Welt nennen, aus Prakrti entsteht bzw. darauf zurückgeführt wird. Damit wird eine Grundfrage aufgeworfen: ist das „Ursprüngliche“ grundsätzlich bzw. an sich „geistig“ oder „materiell“? Die Europäer haben ein anderes Weltbild.

In seiner Darstellung der Theorien der menschlichen Natur bei Konfuzius (551 -479 v. Chr.) meinte PGY, dass man drei Entwicklungsphasen unterscheiden kann:
a. Menschen sollten „zivilisiert“ werden durch Erziehung. LI (die Urrituale der Gesellschaft) ist hier entscheidend. LI meint, m. E. die Urhandlungsformen in Staat und Gesellschaft, die angemessen bzw. „richtig“ sind. Man denkt sofort an den (in Europa) bekannten Begriff: KARMA. Damit ist sowohl die richtige Ritualhandlung als auch die moralische Tat gemeint.
b. in dieser Phase ist der Gedanke der Selbsterforschung zentral. Sie hat mit REN d. h. (Menschlichkeit schlechthin) zu tun. Dies scheint naheliegend!
c. die dritte Phase ist für PGY eine „metaphysische“. Der Kernbegriff YI hat mit Recht-lichkeit bzw. Gerechtigkeit zu tun und wurde in den späteren Jahren betont.

Konfuzius war überzeugt, dass Menschen sich sehr ähneln, d. h, von der Natur her (Xing). Erst in der „postnatalen Zeit“ kommen die Veränderungen. Er sprach über das Dao der beispielhaften Person (junzi). Diese hat vier Eigenschaften. Sie ist gnädig (gong), respektvoll
(jing), großzügig(hui) und gerecht (yi). Dahinter verbirgt sich m. E. die Aufforderung: was soll ich tun, um so zu sein. In einer anderen Aussage meinte der Meister, dass das Dao der höherstehenden bzw. vorgesetzten Person drei Eigenschaften erzeugt: er hat REN (Mensch-lichkeit, keine Sorgen); er hat ZHI (Weisheit, nicht verzweifelt) und YONG (Mut, ohne Angst). Ein vollkommener tugendhafter Mensch ist ein Weiser.
Der spätere Konfuzius hat auch eine kosmologische Perspektive: die menschliche Natur wird schlechthin als Tugendhaftigkeit verstanden. Der Gerechtigkeitsbegriff YI ist hier zentral. Denn zur „Sphäre von YI“ gehört TAIJI (das große Endgültige), das die zwei Formen YIN und YANG hervorbringt. Jede hat zwei Unterteile und daraus ergibt sich die Vier Formen, welche die 8 Trigramme hervorbringt. Die Trigramme bestimmen das Schicksal der Menschen (Gut oder Schlecht). Daraus ergibt sich „das grosse Unternehmen“.
Über den Menschen als Person erwähnte PGY den Konfuziusenkel Zisi (504 – 403 v. Chr.), der der Ansicht war, dass die Natur durch Tian erteilt wird. Das Pflegen des Dao der Natur findet bei der Erziehung statt. In diesem Zusammenhang wird der Begriff CHENG eingeführt. Cheng ist der Weg des Tian und (infolgedessen) der Weg des Menschen. Wie
aber erkennt man einen Menschen, der „cheng“ ist. Er erkennt das richtige ohne Mühe, er ist stets in Harmonie mit Dao, er entscheidet sich für das Gute und hält daran fest. Er ist ein Weiser.
Bei MENCIUS (372 – 289 v. Chr.) schließlich ist die Frage nach dem Erkennen der mensch-lichen (d.h. der eigenen) Natur an sich das Hauptanliegen. Wer sich „geistig bemüht“ (exerts his mind), kennt seine Natur. Wer seine Natur kennt, kennt Tian. Dies ist m. E. ein gewaltiger Schritt in die Richtung: Mensch als Geist. Mencius spricht von den Vier Anfängen, die zum Menschen wie die Vier Körperglieder gehören. Danach gibt es den Geist des Mitleidens, der Scham und Aversion, des Respekts bzw. der Verehrung, und des Guten / Bösen. Diese „Geisteshaltungen“ gehören zum Wesen des Menschen. Die „Natur“, die Vier Anfänge und der „Geist“ sind „equivalent“, nach der Formulierung von PGY. „Die menschliche Natur ist gut, der menschliche Geist ist gut“
Am Ende lasen wir einen (englischen) Text über den „great man“ (einen großen Menschen). Die Aufzählung der einzelnen tugendhaften Eigenschaften im Text hat uns offensichtlich überzeugt und erfreut. Wir wollen schließlich alle ideale Menschen sein.


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