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Themen dieses Kapitels:
Die Frage nach der MENSCHLICHEN NATUR in dem Indischen Kulturraum.
A) Wie haben die Inder über den Menschen an sich gedacht? Beispiele aus den Veden. Upanishaden, Bhagavad Gita, den philosophischen Systemen (darshana) bei gleichzeitigem Versuch, Parallele im europäischen und chinesischen Raum zu entdecken B) a) Die diversen Menschenbilder in der indischen Philosophie- und Kulturgeschichte (Fortsetzung anhand der ausgeteilten Texte: Veden, Upanishaden, Bhagavad Gita. Die Texte sind auf Anfrage erhältlich). b). Die Frage nach der philosophischen Relevanz heute: Vergleich mit europäischen Menschenbildern c). Weitere Vorschläge in Zusammenhang mit neueren Menschen- und Weltbildern (eventuell vor der Sitzung einreichen!) C) a). Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der Darstellung des letzten Gesprächs b). Die diversen Menschenbilder am Anfang der indischen Philosophie c). Europäische Naturwissenschaftler und indische / östliche Philosophie. D) a) Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der letzten Darstellung b) ie diversen Menschenbilder am Anfang der indischen Philosophie – Beispiele aus der Bhagavad Gita und Yogasutras usw. (S. ausgeteilte Textblätter) E) Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der Darstellung sowie des Gesprächs anhand der Texte, die wir ausgeteilt haben: der 16. Khanda von „tat tvam asi“; „Um des Selbstes willen“; über den wahren Brahmanen und über: Karman. F) Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der Darstellung sowie des Gesprächs anhand der Texte, die wir ausgeteilt haben: Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass diese Texte mit Grundfragen des menschlichen Daseins zu tun haben: a. „Um des Selbstes willen“: die Frage der menschlichen Liebe. c. „über den wahren Brahmanen“, d. h. die Suche nach Sinn und Wahrheit ist allen Menschen möglich und nicht nur bestimmten Klassen erlaubt. c. “Karman“: die immer wiederkehrende Frage nach dem Sinn des Lebens sowie der Wiedergeburt.
Ausführungen:
A) Diese Zusammenfassung besteht aus folgenden Abschnitten: a. Einige Bemerkungen zur Gesamtproblematik des Dialogs b. Die ersten Menschenbilder in der indischen Philosophie
a. Da die Sitzung in einem Monat stattfand, der in christlich geprägten Kulturen als „die heilige Adventszeit“ bezeichnet wird, wurde die Frage erhoben: gibt es Entsprechendes in der indischen Kultur?
Ich habe auf das Gayatri – Mantra hingewiesen, das man am besten morgens beim Sonnenaufgang singt – eine jahrhundertlange Tradition. Man könnte sagen: jeder Tag ist heilig. Auf das Zeitverständnis kommen wir sicherlich zurück. Auf meine Bitte, persönliche Vorschläge zwecks Jahresplanung für 2012 zum Ausdruck zu bringen, wurden zwei Themen genannt: Meditation und Esoterik. Zunächst war es notwendig genauer zu klären, welche Erwartungen vom ersten Thema vorhanden sind. Nach einem kurzen Austausch habe ich um einige Zeit gebeten, um darüber nachzudenken, denn auch die nicht einfache Frage des praktischen Kennenlernens muss überlegt werden (S. oben). Die Frage der (heutigen) Esoterik bewegt nicht wenige Teilnehmer. In der Regel kann man eine Reihe von einzelnen Erscheinungen relativ kurz „abhandeln“. Für gesellschaftlich einflussreichere Bewegungen müssten wir eine ganze Sitzung (oder mehrere!) in Anspruch nehmen Darüber werden wir uns einigen. . In Zusammenhang mit dem Begriff „menschliche Natur“ habe ich die Meinung vertreten, dass die Einheit von Himmel, Mensch und Erde das Grundanliegen der Menschen von den meisten (allen?) Kulturen ist. Außerdem habe ich für die Formulierung „was ist der Mensch?“ anstatt „ was ist menschliche Natur?“ plädiert, denn der Begriff „Natur“ müsste geklärt werden. Außerdem stellt man fest, dass alle Kulturen in der Regel dazu neigen zunächst anthropomorph zu denken: Adam / Eva (Europa), Yin – Yang (China), Purusha / Prajapati (Indien). Es versteht sich, dass die genannten Themen genauer untersucht werden müssen. Das „chindische“ Abenteuer geht weiter.
b. Wenn man nach den ersten Menschbildern in der indischen Geistesgeschichte fragt, muss man m. E. darauf hinweisen, dass die ersten Aussagen zunächst als philosophische Texte betrachtet werden müssen, denn sie drücken die ersten Antworten des Menschen auf die Grundfragen nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. In den Veden gibt es keine Rede von einem eindeutigen „Gottesbegriff“ (dies kommt in den Upanischaden vor), es gibt jedoch eine Vermutung, dass es „eine“ höchste Macht geben kann. Solche Vermutungen hängen eng mit dem Weltbild zusammen, das wir häufig in den Sitzungen besprochen haben. Um dies zu illustrieren, haben wir zwei Lieder (Hymnen!) aus dem Rig- Veda gelesen. Im ersten Lied wird immer wieder die Frage gestellt: Wer ist der Gott, den wir mit Opfern ehren sollen? Das zweite ist ein Weltschöpfungslied und stellt gleich am Anfang die „Seinsfrage“. (Dies ist auch der Grund, warum ich dieses Lied gleich am Anfang meines Buchs über „die Philosophien Indiens“ behandelt habe.) Da wir bei der Sitzung das erste Lied (Rigveda, 121, 1 – 10) nicht eingehend besprochen haben (dies wollen wir später in der Untersuchung tun) haben wir unsere Eindrücke ausgetauscht. Zunächst stellt man fest, dass das Weltbild der ersten Strophe mit dem uralten Bild eines Schöpfers, der aus dem Ur-Ei entsteht, zu tun hat. Die zwei Hälften des Eis bezeichnen dann die Erde und den Himmel. Doch in der nächsten Strophe wird sowohl über den Tod als auch über die Unsterblichkeit spekuliert. In den nächsten Strophen wird eine Art Kosmologie entworfen, wobei gesagt wird, dass die einzelnen Teile des Kosmos (Berge, Himmelsgegenden, Luftraum usw.) von dem Urschöpfer getragen bzw. erhalten werden. Als es über die Entstehung des Feuers (Agni) geht, spricht der Dichter nun von einem „einzigen Lebensgeist“. Er ist „Gott der Götter, und keiner ist ihm gleich“ Er soll nicht verletzt werden. Man bittet ihn um Wohlergehen.
Über das zweite Lied (Rig-Veda, X, 129) sagt der große Sanskrit – Kenner, Paul Deussen: „Die Herrlichkeit dieses uralten Stückes tiefsinniger Philosophie kann durch keine Übersetzung auch nur annähernd wiedergegeben werden“. Wie oben erwähnt, sieht er in dem Lied den ersten „Schritt zur Philosophie“, nämlich: „die Erkenntnis der Einheit alles Seienden“. Wenn ich mich nicht täusche, war die Runde recht beeindruckt. Die stillen Augenblicke am Ende das Gesprächs waren ein klares Zeichen dafür.
B) Die Frage nach der menschlichen Natur im Indischen Kulturraum a). Die diversen Menschenbilder in der indischen Philosophie- und Kulturgeschichte (Fortsetzung anhand der ausgeteilten Texte: Veden, Upanishaden, Bhagavad Gita. Die Texte sind auf Anfrage erhältlich). b) Die Frage nach der philosophischen Relevanz heute: Vergleich mit europäischen Menschenbildern c) Weitere Vorschläge in Zusammenhang mit neueren Menschen- und Weltbildern (eventuell vor der Sitzung einreichen!)
Diese Zusammenfassung besteht aus folgenden Abschnitten: a. „Homo digitalis?“ bzw. wie kann man den heutigen Menschen bezeichnen? b. Bildhafte Darstellungen eines Menschenbildes aus der indischen Kulturgeschichte: im Hinduismus und Buddhismus
a. Zu Beginn der Sitzung wurde erwähnt, dass die elektronisch-digitale Kommunikation zwischen Menschen heute so selbstverständlich geworden ist, dass man gar nicht staunt, wenn man von einem jungen Menschen den Satz hört: „Ich bin ein Kind des Internets“. Angesichts der Tatsache, dass wir uns vor einiger Zeit darüber einigten, dass der Mensch im Prinzip ein „homo sapiens“ ist, wie könnte man den Menschen in der heutigen (globalen) Gesellschaft bezeichnen? Einige Vorschläge: homo digitalis, homo informaticus. Vielleicht auch: homo superficialis.? Das Spiel der Wörter kann weiter gehen.
b. Zunächst habe ich die These vertreten, dass Menschenbilder sehr unterschiedlich gestaltet werden können. d. h. nicht nur in der Form von Texten. Denn gleich am Anfang der indischen Kulturgeschichte findet man symbolische Darstellungen (religiöser sowie künstlerischer Art) die philosophisch höchstrelevant sind, denn sie versuchen dieselben Grundfragen des Menschen zu beantworten. Um dies zu verdeutlichen bzw. belegen wurde auf folgende Darstellungen hingewiesen.
1. Das bronzene Bild des „Shiva – Nataradsch“ d. h. die Hauptgottheit Shiva als „König der Bühnenkünstler bzw. „Tänzer“ (Original im Rijksmuseum, Amsterdam). In meinem Buch über die Philosophien Indiens bin ich kurz darauf eingegangen. Die vier Arme bezeichnen Shiva als Herr der Zeit (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft). Der Flammenkreis drückt die Theorie der Wiedergeburt aus, der erhobene linke Fuß die Erlösung.
2. Ein ebenso bekanntes Menschenbild ist das des „Yogeshvara“ d. h. Shiva als „Herr des Yoga“. Er thront in (asketischer) yogischer Sitzhaltung hoch im Himalaya (aus seinen Haaren fließt der Ganges!). Die zwei Bilder drücken ein Grundphänomen im Menschen aus: die Einheit von Bewegung (Leben) und Meditation (Innerlichkeit, Stille). Wir sprachen über das eigentliche Ziel des klassischen Yoga: der autonome Mensch (kaivalyam). M. Eliade nennt dies die absolute Freiheit – der Mensch ist zur Freiheit geboren. (Ohne Freiheit keine Liebe!)
3. Weniger bekannt ist, dass auch die Buddhisten ein ausgeprägtes Menschenbild haben. In dem gezeigten „thangka“ (tibetisch) wird die Grundlehre bildhaft dargestellt. Im Zentrum des Kreises sind die Tiersymbole für die Grundübel im Leben des Menschen: Gier, Hass und Verblendung bzw. Nichtwissen. Ein weiterer Kreis stellt zwölf Lebensphasen des Menschen dar, die die Wiedergeburtkausalität beschreiben. . Der Gesamtkreis befindet sich „in den Klauen“ eines Monsters – Symbol für das Leiden und das Böse in der Welt. Wir sprachen auch darüber, dass in östlichen Religionen erst das Erkennen der Wahrheit zur Befreiung führt – für die Buddhisten durch die Erkenntnis der Ursachen des Leidens, nämlich die Vier Edlen Wahrheiten.
4. Auch ein Mandala ist aus einem Menschenbild entstanden, das der meditative Weg des Menschen (zum Endziel) durch eine symbolische Geometrie zum Ausdruck bringt, die einerseits auf die Einheit von Mensch und Kosmos, andererseits aber auf die „Leerheit“ des Seins hinweist.
5. Kein anderes Bild der Kulturgeschichte stellt so prägnant ein Menschenbild dar, das die Frau an sich zum Grundsymbol des menschlichen Daseins erhebt: das Bild der abschreckenden sowie faszinierenden Gottheit Kali. Kali bedeutet „die Dunkle“ (d. h. die andere Seite der Wirklichkeit), gleichzeitig aber „die Herrin der Zeit“. Die Symbolik (zehnarmig, Schädelkette usw.) ist eine Herausforderung auch für Inder. Dem bengalischen Mystiker Ramakrishna ist es in unserer Zeit gelungen, einen Weg zu ihr zu zeigen, der Zeitgenossen vielleicht überzeugen könnte.
6. Bei dem letzten Bild handelte es sich um eine Darstellung aus dem tantrischen Buddhismus: der allerhöchste Buddha (Adibuddha) in Liebesvereinigung mit seiner Partnerin. Die absolute Gleichheit sowie Einheit des sich umarmenden Paares zeigt sich in der Benennung: Samantabhadra und Samantabhadri. Das Verständnis ist klar: die grundsätzliche Einheit von Mann und Frau ist ein Spiegel der absoluten Wirklichkeit.
C) a). Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der Darstellung sowie des Gesprächs vom 15. Februar 2012. b). Die diversen Menschenbilder am Anfang der indischen Philosophie c). Europäische Naturwissenschaftler und indische / östliche Philosophie.
a. Das vedische Opferritual - J. Ratzinger und die Frage des Uropfers b. Die Menschenbilder der Upanishaden als Anfang der indischen Philosophie
Wie und wo hatten die Inder der vedischen Zeit die Lieder (des Rig – Veda usw.), die wir in den letzten zwei Sitzungen gelesen haben, vorgetragen? Wie sah das vedische Opferritual aus? In den Veden gibt es einige Anweisungen. Der Opferveranstalter (Yajamana) ist in der Regel ein wohlhabender Grundbesitzer. Er wählt ein geeignetes Feld auf dem Besitz aus. Dort wird ein Opferplatz (vedi, aus Holz, sanduhrförmig)) errichtet. An den vier Ecken des vedi sitzen vier Brahmanen: der leitende Hotar, der Texte aus der Rigveda rezitiert; der Udgatar, der Lieder aus dem Samaveda singt; der Adhvaryu, der die Handlungen aus dem Yajurveda ausführt; und der Brahmane, der alles überwacht. Die Opfergaben werden zum Feuer des Veranstalters (Garhapatya) gebracht, wo sie gekocht werden. Dann werden sie zum Feuer der Darbringungen (Ahavaniya) gebracht und später gespeist. Es gibt auch das Südfeuer (Dakshinagni), für die Ahnenverehrung und um Böses abzuwehren. Die Feuergottheit, Agni, gilt als Priester der Götter. In den Liedern werden die Götter (über Agni!) gebeten, am Opfermahl teilzunehmen. Die Opfernden bitten um Wohlstand, Gesundheit, Nachkommenschaft und Unsterblichkeit bzw. langes Leben. Es geht um eine „rituelle Überwindung des Todes“. Man bezeichnet das Opfergeschehen als „eine vorwissenschaftliche Wissenschaft“, die genauer in den „Brahmanas“ (Opferschriften) beschrieben wird. Der bekannte katholische Theologe, Josef Ratzinger, hat in seiner „Einführung in das Christentum“ (1968) auf das vedische Opferritual hingewiesen. Denn in einem Lied aus dem Rigveda wird erklärt, die Weltschöpfung hat dadurch stattgefunden, dass ein Urwesen bzw. Urmensch (Prajapati) sich geopfert hat. Aus den einzelnen Teilen seines Leibes ist die Welt hervorgegangen. Dazu meint J. Ratzinger: „Jene großen Mythen, die davon wissen wollen, dass aus einem Uropfer heraus der Kosmos aufgebaut worden sei und dass der Kosmos immer nur vom Sichopfern lebe, auf das Opfer gestellt sei, erhalten hier ihre Wahrheit und ihre Gültigkeit“. Man fragt sich, an welches Opfer denkt Ratzinger? Im selben Text redet er von: „der Gott – Mensch Jesus Christus“. Er denkt offensichtlich an das Opfer Christi: er stirbt am Kreuz. Durch seinen Tod, d. h. durch seinen Leib und sein Blut, rettet er die Menschen von der Sünde und ermöglicht für sie ein neues Leben. Im Sakrament der Eucharistie werden Leib und Blut durch Brot und Wein symbolisiert. Die Menschen nehmen am Opfer teil – sie essen das Brot und trinken den Wein. Auch die vedischen Inder verspeisen die hergebrachten Opfergaben und sind den Göttern dankbar. Die göttliche (heilige!) Speise öffnet die Tür zum ewigen Leben. (( Literatur: J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968. S. 183. Dort weist er auf die genannten vedischen Mythen hin und nennt: J. Gonda, Die Religionen Indiens, I, Stuttgart 1960, S. 186f. Er nennt ausdrücklich den Prajapatimythos im Rigveda, 10, 90)) Die Menschbilder der Upanishaden (Grundlage allen indischen Philosophierens)Zwei Texte aus den Upanishaden (übersetzt durch P. Deussen) wurden vorgelesen und besprochen: aus der Brihadaranyaka – Upanishad, 3, 4 und aus der Chandogya – Upanishad, 3,14. (bei der Sitzung werden die Texte ausgeteilt). Anfangs wurden die Fragen erhoben: was ist unser (persönliches) Menschenbild? Wie verstehen wir unser eigenes Sein? Wie kann man mit dem absoluten Gott (Brahman) kommunizieren? Einige Stichworte aus der Runde: durch Gnade bzw. das Beten, durch das Opfern und Rituale, als Zwiegespräch, durch Erwählung durch Gott usw. Im erstgenannten Text wird der Weise, Yajnavalkya, gefragt, wie man die Aussage verstehen soll, dass das Brahman als „Seele“ bzw das Selbst (Atman) „allem innerlich ist“. Der Gelehrte weist zunächst auf die atmenden Vorgänge im Menschen hin: Einhauch, Aushauch, Zwischenhauch, Aufhauch. Er fragt: wer ist es, der „durch den Einhauch einhaucht?“ Seine Antwort: das ist das Selbst („deine Seele“). Der Fragende ist nicht zufrieden und meint, das wäre eine Aussage, wie „das ist eine Kuh, das ist ein Pferd“. Um ihn es klarer zu machen, weist Yajnavalkya auf die Wahrnehmungsorgane des Menschen hin. Wer kann den Seher des Sehens sehen, Hörer des Hörens hören usw.? Das kannst Du nicht. Denn Du kennst die eigentliche Quelle allen Seins, das Brahman, nicht. Aber dieser ist im innersten deines Seins (deines Selbst, „deiner Seele“), d..h. der Atman. Im zweiten Text werden diese zwei Grundbegriffe der Indischen Philosophie (Brahman, Atman) etwas bildhafter erklärt. Zunächst wird erklärt, dass das Brahman das Weltall ist. Auch hier werden menschliche Wahrnehmungsprozesse gebraucht, um die Unbegreiflichkeit Brahmans zu erklären: er ist allwirkend, allwünschend, allriechend, allschmeckend usw. Die entscheidenden Bilder sind m. E. sind einerseits der Vergleich der Winzigkeit des Atmans mit dem Kern eines Hirsenkorns (er ist noch kleiner!) und andererseits der Vergleich der Unendlichkeit des Atmans mit Erde, Luftraum und Himmel – er ist noch größer. Die Kernaussage liegt in der Formulierung, dass sowohl Winzigkeit als auch Unendlichkeit letztlich im innersten des Menschen zu suchen sind: „dieser ist meine Seele (atman) im inneren Herzen“. Damit ergibt sich der Grundsatz indischer Philosophie: Brahman ist Atman.
Verblüffend war die (spontane!) zutreffende Bemerkung aus der Runde, dass das obengesagte mit der Mystik (z. B. Meister Eckhart) zu tun hat. In dem anschließenden Gedankenaustausch über den eben genannten Satz wurde gefragt, wie man ihn verstehen soll. Naheliegend wäre: Schau in die Tiefe deines eigenen Selbst. Die Gnade ist immer (für dich) da – das musst du in dir selbst verwirklichen. Tatsächlich kommen Mystiker im Osten und im Westen zu frappant ähnlichen Aussagen. In jüngster Zeit wird in christlichen Kreisen auch die Formulierung gebraucht: wahre Nächstenliebe ist mit Gottesliebe identisch. Denn wenn man wirklich liebt, ist Gott schon da. Ein bekanntes Bild ist das des winzigen Senfkorns, der zu einem großen Baum aufwächst. Die Suche geht weiter.
D) a) Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der letzten Darstellung b) ie diversen Menschenbilder am Anfang der indischen Philosophie – Beispiele aus der Bhagavad Gita und Yogasutras usw. (S. ausgeteilte Textblätter)
Sind wir frei oder determiniert? Wie frei sind wir?Tat tvam asi: der Mensch zwischen absoluter Wirklichkeit und irdischem Dasein. An einem herrlichen Frühlingstag mitten in Köln hatten wir einen aufregenden und aufschlussreichen Gedankenaustausch über ein Grundthema heutigen Philosophierens. Wie kam es dazu? Ich vermute, das Wort „Freiheit“, angesichts der Bundespräsidentenwahl am Sonntag davor, lag „in der Luft“. An einzelne Äußerungen kann ich mich nicht erinnern. Nun bemerkte eine der Anwesenden schlicht und spontan: wir sind doch alle determiniert! Dazu eine offenherzige Erklärung (sinngemäß): „Ich hätte doch am Rhein spazieren gehen und das Wetter genießen können. Doch habe ich mich entschieden, zu der Satyakamasitzung zu gehen“. Eine Welle der Stellungnahmen rollte über die Runde! Denn offensichtlich fühlte sich jede/r angesprochen, die eigene „Freiheitssituation“ unter die Lupe zu nehmen. So verblüffend die oben erwähnte Bemerkung war, sie wirkte wie Zündstoff, der die tagtäglich erlebten Spannungen zwischen konkreten menschlichen Freiheiten und keineswegs wegzuleugnenden Handlungszwängen („Vorprogrammiertheit“) sichtbar machte. Die Vielzahl der angeschnittenen Gesichtspunkte kann man nicht restlos aufzählen (so interessant das wäre!). Man kann versuchen, zunächst einige der philosophisch relevanten Fragestellungen zu formulieren sowie die Themen zu nennen, die den Anfangsfragen (a) am nächsten stehen. Da die zwei Begriffe Freiheit und Verantwortung im Raum standen, wurde gefragt: Was machen wir mit unserer Freiheit? Wir haben keine, meinten einige. Wir sind von äußeren und inneren Ursachen determiniert, darunter auch durch biologische Vorgänge. Der Begriff „Prädestination“, d. h. Vorbestimmung, wurde erwähnt. (Dies dürfte Thema einer künftigen Sitzung sein). Aber wie frei ist der Mensch heute? Und in diesem Zusammenhang: welche Freiheit meint J. Gauck? Übrigens: ist er als protestantischer Mensch frei? Sind die Freiheitsbegriffe im Protestantismus nicht sehr unterschiedlich? Luther sprach von der Freiheit eines „Christenmenschen“. Die Auffassung von den Calvinisten ist aber ganz anders und auch Erasmus von Rotterdam sprach von einer bedingten Freiheit. Es war notwendig darauf hinzuweisen, dass es keine absolute Freiheit gibt. Kann man sagen: je mehr Freiheit, desto mehr Verantwortung? Oder soll man sich eher der Grenzen der Freiheit bewusst sein? Es lag m. E. auf der Hand: wie frei ist unser Denken? Für manche ist die Astrologie hilfreich, für andere wäre das „Quatsch“. Wenn es um das Denken geht, können wir unser Denken immer in Worten fassen? Kann man das Phänomen der Liebe restlos verbalisieren oder muss man öfters schweigen? Sind wir „Gefangene unserer neuronalen Architektur“? (auch dieses Thema ist nicht auf die Schnelle zu behandeln und könnte in einer künftigen Sitzung zur Sprache kommen). Einige waren der Auffassung, dass die Zehn Gebote ein Gegenpol zum Determinismus darstellen. Sie setzen nämlich Freiheit voraus. Es war offensichtlich, dass die Anwesenden nicht anders konnten, als von den eigenen (heutigen!) Menschenbildern ausgehen. Gibt es eine Freiheit des Geistes? Oder darf man in diesem Jahrhundert (und der heutigen Atmosphäre) den Menschen prinzipiell als „vollprogrammierbar“ betrachten?
Tat tvam asi (Das bist du) Diese berühmten Texte aus der Chandogya – Upanishad (6, 3, 9 – 16) gelten als die „Summa aller Upanishadlehren“ (Deussen). Denn der Lehrer (ein Guru im eigentlichen Sinne!) bemüht sich, dem Schüler deutlich zu machen, was ihn und die Welt „im innersten zusammenhält“. Man merke: es geht um ein DU. Mit welchen didaktischen Mitteln soll der Lehrer dies vermitteln? Er wählt die Methode der Natur – Analogie. Im ersten Bild (9. Khanda) geht es um die Bienen und den Honig. Die Säfte werden von verschiedenen Bäumen gesammelt und zusammengetragen. Die Säfte an sich haben keine Ahnung, woher sie kommen, d. h. sie haben keinerlei Bewusstsein davon. Dies ist genau die Situation nach dem Tod: die Geschöpfe haben kein Bewusstsein davon, dass sie in das Seiende (d. h. Brahman) eingehen. Doch das Seiende hält sie zusammen. Sie werden „wiedergestaltet“. Das Seiende an sich wird offensichtlich nicht „bemerkt“, weil es sehr „fein“ ist, d. h. ungeheuer klein und winzig (und für unsere Augen nicht wahrnehmbar) Aber daraus besteht das Weltall! Das ist die das Reale, d. h. die Wirklichkeit, die Wahrheit (Satya). Denn diese ist nichts anders als der Atman, d.h. das Selbst, das, wie wir sahen, identisch ist mit Brahman. Und nun kommt die Schlussfolgerung: so bist du. Was will der Lehrer dem erstaunten Schüler sagen? Bei unserem Gedankenaustausch, habe ich die Ansicht vertreten, dass die Übersetzung von Atman mit „Seele“ nicht ganz stimmig ist, denn hier liegt keine dualistische Auffassung vor. Man kann es vielleicht so formulieren: Du bist ein Selbst, weil es ein absolutes Selbst gibt. Oder: was du wirklich bist, ist mit der Wirklichkeit an sich identisch. Der Guru will offensichtlich dem Schüler nahelegen: die winzige Wahrheit ist in dir, dein Du ist damit identisch. Denn dieser winzige Atman ist gleichzeitig das Allumfassende (Brahman), wie wir in der vorigen Sitzung sahen. Es versteht sich, dass bei mystischen Aussagen keine letztgültigen Formulierungen möglich sind. Aber ist die mystische Ebene nicht wesentlich mit der „normalsterblichen“ Ebene verbunden und setzt sie sogar sie voraus? Von gläubigen Menschen (auch in diesen Breitengraden) kann man oft hören: Gott ist in Dir, er durchdringt alles. Auch wenn es um eine Liebesbeziehung geht, hört man (nicht nur von Dichtern): „ich will ganz bei dir sein“ bzw. „du bist ganz bei mir“. (Frage: kann man sich einem Menschen ganz hingeben?) Dass hier ein wahrer Glaubensakt vorausgesetzt wird, ist eindeutig. Auch bei den anderen Khandas, die wir lasen (bis zu dem 11.), ist die Auslegung ähnlich Der Gedankenaustausch war vielfältig. Ich versuche einige Stellungnahmen zu nennen. Es war hinreichend klar, dass es sich um Grundeinstellungen zum Menschen handelt. Reicht eine naturwissenschaftliche Betrachtungsweise aus? Ist der Mensch „mehr“ als Materie? Oder kann man mit K. Rahner sagen: der Mensch ist die absolute Offenheit auf das Sein? Hat der Mensch Gott „erfunden“ oder geht es um eine „Offenbarung“? Man spricht auch von der „Gottverlassenheit“. In der Bibel schreit Jeremiah zum Himmel und beklagt sich, dass Gott „abwesend“ ist. Andererseits ist das Zeugnis von „glaubwürdigen“ Menschen sehr gefragt – man pilgert meilenweit, um diese Menschen zu erleben, zu sehen. Einer aus der Runde fragt nach der Identität von Yajnavalkya, dem Lehrer. Man würde ihn einen „rishi“ nennen. Dies bedeutet „Seher“. Dennoch: es geht nicht um normales Sehen. Man kann sagen: er habe eine andere (die eigentliche) Wirklichkeit „erschaut“. Dies versucht er dem Schüler nahezulegen. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass die Lieder in den Upanishaden von Dichtern verfasst waren, die in Familienverbänden lebten. Die Rituale waren eine kosmische Liturgie. Kann man von einer Sehnsucht nach dem Ewigen sprechen?
E) Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der Darstellung sowie des Gesprächs anhand der Texte, die wir ausgeteilt haben: der 16. Khanda von „tat tvam asi“; „Um des Selbstes willen“; über den wahren Brahmanen und über: Karman.
a. Freiheit und Freiheiten b. Das Absolute und die Stunde des Todes
a. Höchstwahrscheinlich ausgelöst durch das anfängliche Grußwort von mir („schön, dass wir aus freiem Willen wieder da sind“), kam der Begriff Freiheit wieder zur Sprache. Es geht letztlich darum, was man (wir!) darunter versteht. Wann ist man wirklich frei? Man muss unterscheiden zwischen der „Freiheit an sich“ und konkreten Freiheiten. Denn das tägliche Leben besteht aus unzähligen Freiheiten, die wir genießen, und den Lebensinhalt ausmachen. Werden wir dadurch frei? In diesem Zusammenhang kam eine Reihe von Gesichtspunkten zur Sprache, die ich kurz nenne. Zum Beispiel: die Frage nach der Handlungsfreiheit. In neuester Zeit hat die Hirnforschung erhebliche Zweifel gemeldet, die auf experimentelle Ergebnisse bezogen sind. Das Freiheitsverständnis der Religionen (Erlösung, Befreiung, moksha usw.) ist ein spezielles Thema und nur in Bezug auf Glaubenskategorien zu verstehen. Schließlich wäre auf die Tatsache hinzuweisen, dass viele Zeitgenossen eine Wiedergeburtstheorie vertreten. Ich habe erwähnt, dass ich dabei bin, einen Artikel zu verfassen, der etwa lauten könnte: Das Karmaverständnis der Inder und die Willensfreiheit des Menschen. Darüber werden wir zeitig bei einer künftigen Sitzung informieren.
b. Khanda 15 : das Absolute und die Stunde des Todes Festzustellen war, dass der Khanda nicht ohne weiteres verständlich ist. Die Frage wurde erhoben: worum geht es in diesem Khanda? Eine erste Antwort: es geht offensichtlich um die Stunde des Todes. (Aus dem Kreis der Anwesenden gab es eine spontane, bestätigende Äußerung dazu, die sich auf den Sterbensprozess eines Familienmitglieds bezog. Außerdem gab es eine Reihe von unterschiedlichen Reaktionen auf die Textvorlage, die zeigten, dass die Todesfrage zu den allerschwierigsten Fragen gehört, mit denen sich der Mensch tagtäglich auseinandersetzen muss.) Was hat dies aber mit der Frage zu tun, die im Raum steht, nämlich, die Beziehung von dem Schüler Shvetaketu zum Absoluten (Atman – Brahman)? Anders ausgedrückt: die Beziehung des Realen zum menschlichen Du. Der Lehrer möchte seinem Schüler, Shvetaketu, nahe legen, dass, selbst in dieser “kritischsten“ Stunde des Menschseins, die winzig – unsichtbare Allgegenwärtigkeit von Brahman (bzw. des Absoluten) da ist, d. h. bei ihm („spürbar“) ist. Der Sterbende ist zunächst „überfragt“. Die Verwandtschaft will wissen, ob er „bei Sinnen“ ist.(In diesem Zusammen-hang war es offensichtlich für den Kreis, dass ähnliche Fragen auch in unserer Zeit nicht einfach zu beantworten sind. Heutige Stichworte: klinischer Tod, Patientenverfügung, Apparatmedizin, usw.). Der Lehrer muss deshalb den Gesamtzusammenhang erklären. Zunächst nennt er einige der verschiedenen menschlichen Faktoren, die zum Prozess gehören: Rede (bzw. das Wort an sich), das Manas (Denkorgan, „Geist“), Prana (Atem bzw. das Leben), die Glut (d.h. die Hitze, die Wärme), die höchste Gottheit (das Seiende bzw. das absolute Brahman). Erst wenn alle genannten Faktoren „ineinander aufgehen“, ist der Mensch „erlöst“, d. h. er wird nicht auf Erden „wiedergeboren“. Es liegt auf der Hand, dass man wissen muss, wie er dies begründet. Um die Erklärung zu verstehen, habe ich auf das im Kreis vor einiger Zeit behandelte Vedische Opferritual hingewiesen (Vgl. Zusammenfassung des Gesprächs bei der Sitzung von 15. Februar 2012) Wie wir sahen, ist das Opferritual ein Feueropfer, d. h. die Feuergottheit Agni wird „hervorgerufen“). Das Gesamtopfer bezieht sich jedoch auf die fünf Weltelemente (Bhuta): Feuer (Wärme, Hitze); Wasser, Erde, Luft (Atem, Leben) und der Luft-Raum. Die Elemente sind Grundbestandteile des Lebens, sie sind lebensnotwendig. Alle Elemente bezeugen die Allgegenwart des Absoluten und gehen auf ihn zurück. Erst wenn die menschlichen Faktoren zurück zu ihrem Ursprung gehen, bzw. ihn „erkennen“, werden sie bei ihm „verbleiben“ und nicht zurück zur Erde gehen. Der Hochpriester Gottes (Brahmans!), Agni, spielt beim Ritual eine zentrale Rolle. Seine Hitze ist die Urkraft, die alles „ins Rollen“ bringt. Auch der Mensch hat Teil an dieser Urhitze: das Wort für Askese ist „Tapas“, d. h. innere Hitze. (Ich habe verstanden, dass Ärzte heute u. a. die Temperatur des Sterbenden feststellen, um dann eine Entscheidung zu treffen). Fazit: der Mensch hat immer über den Prozess des Sterbens gedacht, d. h. ihn beobachtet und und untersucht. In den Upanishaden ist man davon überzeugt, dass die Quelle des menschlichen Lebens das Absolute schlechthin ist. Das ist schon bei den fünf Grund-elementen erkennbar – jedes für sich ist ein erfahrbares Symbol des Absoluten. Jedes Element muss beim Sterben auf die Quelle ausgerichtet sein, d. h. ihn erkennen. Dies ist die Bedingung für das weitere (ewige) Leben (bei Brahman!). Dennoch: das Denken und Spekulieren über die Stunde des Todes bzw. den Prozess des Sterbens wird weitergehen. Da diese Stunde den Höhepunkt des menschlichen Daseins genannt werden kann, ist die Frage des Naheseins (von Verwandtschaft und Freunden) von zentraler Bedeutung. Auch dies wurde in dem anschließenden Gedankenaustausch unter den Anwesenden intensiv erörtert.
F) Die Menschenbilder der Upanishaden - Fortsetzung der Darstellung sowie des Gesprächs anhand der Texte, die wir ausgeteilt haben: Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass diese Texte mit Grundfragen des menschlichen Daseins zu tun haben: a. „Um des Selbstes willen“: die Frage der menschlichen Liebe. c. „über den wahren Brahmanen“, d. h. die Suche nach Sinn und Wahrheit ist allen Menschen möglich und nicht nur bestimmten Klassen erlaubt. c. “Karman“: die immer wiederkehrende Frage nach dem Sinn des Lebens sowie der Wiedergeburt.
1) Im ersten Teil der Sitzung wurden diverse Fragen gestellt, die sich auf die letzte Sitzung bezogen. Zunächst eine Klärung: Den Aufsatz über Karma und Willensfreiheit hoffe ich in den nächsten Wochen anzufertigen. Alle, die sich dafür interessieren, bekommen ein Exemplar. Bitte melden Sie sich! Zur Frage des Naheseins von Verwandten und Freunden in der Stunde des Todes. Dies ist für alle von zentraler Bedeutung. Das Nahesein kann sehr unterschiedlich gestaltet werden, wie ich mehr als einmal erlebt habe. (Weitere Gedanken darüber könnten wir nach einer Sitzung austauschen.) Im Laufe des Gesprächs ist uns klargeworden, dass man nicht von einem bzw. dem Todespunkt sprechen kann, denn es handelt sich um einen Prozess, der sehr lang dauern kann. Die lebenserhaltenden Techniken der heutigen Medizin machen das Nahesein nicht einfacher, z. B. wenn Menschen in einem Komazustand liegen. Vor allem in der Todesstunde braucht der Mensch wahre Solidarität. 2) Spontane Reaktion nach dem Vorlesen des 16. Khandas: „das erinnert mich an die Hexenverbrennungen im Mittelalter“. Doch war es verblüffend, die Anwendung des Verfahrens des sogenannten „Gottesurteils“ (Judicium Dei, hiernach: JD) zur Wahrheitsfindung in einem philosophischen Text zu finden. Zunächst muss man klar sagen: diese Methode entspricht sicherlich unserem heutigen Rechtsempfinden nicht. Warum nimmt der Lehrer dies als Beispiel für die Allgegenwart Gottes? Um dies zu verstehen, muss man einen kurzen Blick in die Kulturgeschichte richten, und zwar auf die Zeit vor dem Entstehen der Weltreligionen bzw. der großen philosophischen Systeme. Verblüffend ist die Tatsache, dass JD in nahezu allen Kulturen bekannt sind. Man räumt ein, dass JD vor allem in indoeuropäischen Kulturräumen nachzuweisen sind. Man fragt natürlich: Wieso? Ich habe die Ansicht vertreten, dass dies nur damit zusammenhängen kann, welche Menschenbilder, Weltbilder und Gottesbilder der prähistorische Mensch vor sich hatte. Wie wir wissen, waren solche Bilder weder eindeutig noch scharf umrissen in ihrer Aussagekraft. Kann man sagen, dass der frühe Mensch auf der Suche nach Kriterien der Wahrheitsfindung war? Auf alle Fälle kann man sagen: der Mensch war auf der Suche nach ganz konkreten Kriterien für die Beurteilung von guten und bösen Taten. Ich vermute, hier spielte das „mythische Denken“ (von manchen „magisch“ genannt) eine entscheidende Rolle. Denn man „dachte“ bzw. „glaubte“, dass Gutes und Böses auch durch den Einfluss von übermenschlichen Kräften („Götter“ und „Dämonen“) verursacht werden. Es lag nah, dass man sich bemühte, diese Kräfte bei der Rechtsprechung „hervorzurufen“. Wie das gehen sollte, ist für uns heute ein Rätsel. (Dennoch: mythische Vorstellungen über die Ursachen von guten und schlechten Ereignissen sind auch heute im Umlauf: man denke an die Reaktionen nach diversen Katastrophen oder auch an die vermeintliche Ursache von „Wundern“). Merkwürdigerweise kommen JD auch in der Bibel sowie bei den klassischen Griechen und Römern vor. Wie kann man das Phänomen erklären bzw. verstehen? Wie kam es dazu, dass JD so weitverbreitet in diversen Kulturen waren? Eine Vermutung: die Überzeugung, dass die absolute Macht Gottes auch in den kleinsten Handlungen des Menschen spürbar ist und notfalls sich zeigt. Anders ausgedrückt: wenn Gott absolut ist, d. h. das Gute an sich ist, dann greift er sofort in die menschliche Geschichte ein, wenn ein Gottgläubiger von der Justiz (d. h. der Gesellschaft) ungerecht angeklagt ist. Man kann dies vielleicht totales Gottvertrauen nennen. Wie wir aus der Geschichte wissen: so schön das klingt, ist der Raum für Machtmiss-brauch sehr groß. Denn: ganz normale Menschen führen den Rechtsprechungsprozess durch. Wie schon die Sophisten wussten: man kann recht haben, man muss auch Recht bekommen. Wenden wir uns dem Lehrer von Svetaketu zu. Er will ihn darauf hinweisen, dass, selbst bei einer solchen Methode der Wahrheitsfindung, der Mensch, der ganz im Absoluten (Brahman/Atman) lebt und von ihm getragen ist, nichts zu fürchten hat. Er wird die „Prüfung“ problemlos bestehen, d. h. er wird seine Unschuld klar „beweisen“. Hinzuzufügen ist, dass die europäische Kirche bereits im 13. Jahrhundert bei einem Konzil die Rechtsprechungsmethode der JD verboten hat.
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