Themen dieses Kapitels:

A) Was ist der Mensch? – im Zeitalter des postmodernistischen „anything goes“. Wie sieht das neue Menschenbild im 21. Jahrhundert aus?
B) Experiment Mensch – das Menschenbild in der heutigen Diskussion



A) Was ist der Mensch

im Zeitalter des postmodernistischen „anything goes“ – wie sieht das neue Menschenbild aus?

Zunächst wurde der Ausdruck „anything goes“ kurz erörtert. Dies ist eine Formulierung des Philosophen Paul Feyerabend, der als radikaler Kritiker der zeitgenössischen Wissenschaftsgläubigkeit bzw. des -dogmatismus gilt. In seinem bekannten Werk „Gegen den Methodenzwang“ wendet er sich vor allem gegen den Anspruch von Wissenschaftlern, methodisch stets rational zu verfahren. Feyerabend plädiert für einen echten Pluralismus der wissenschaftlichen Methoden sowie die Berücksichtigung von „irrationalen“ Methoden, denn keine Methode kann letzte Gültigkeit beanspruchen. Deshalb: „Mach, was du willst“.
Blick in die Kulturgeschichte: frühe Aussagen über den Menschen
Der Blick in die Kulturgeschichte (beim letzten Gespräch) wurde dadurch fortgesetzt, indem die berühmte Aussage von Antigone aus dem gleichnamigen Stück von Sophokles vorgelesen wurde. Sehr eindrucksvoll (in der Übersetzung von Walter Jens) wird die innere Zerrissenheit des Menschen sowie seine Stellung im Kosmos beschrieben. Dennoch: „ Nur vor dem Tode weiß er keinen Rat“
Ebenfalls ratlos scheint der Dichter der Schöpfungshymne des Rigveda zu sein, der zunächst feststellt: „Damals war nicht das Nichtsein noch das Sein…….Nicht Tod war damals noch Unsterblichkeit“ Am Ende fragt er, ob der Schöpfer alles weiß: „oder weiß auch er es nicht?“(der zweifelnde Mensch)
Erwähnenswert ist die Aussage von Genesis 1, 27: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“.
Eine künftige Aufgabe wäre, Vergleichbares aus den chinesischen Philosophien zu finden. Dennoch fällt eine Aussage aus dem Tao–te – King (Kap. 3) auf: „Deshalb der Heilige Mensch. Er weilt beim Geschäft des Ohne – Tun, er lebt die Lehre des Nicht – Redens“.
Es wurde darauf hingewiesen, dass die Konfuzianische Lehre von der grundsätzlichen Einheit von Himmel, Erde und Menschen ausgeht.
Zur Entstehung des heutigen Menschenbildes in den Hochkulturen
Als Hinweis auf den gegenwärtigen Diskurs über das heutige Menschenbild wurde ein Artikel mit dem Titel „Das Ende des Menschen? -. Reflexionen im Zeitalter der Posttraditionalität“ angeführt. Darin wird berichtet, dass die Frage „was ist der Mensch? “ immer mehr in das Zentrum des heutigen Diskurses gerückt wird. Als Beispiel dafür wird die Debatte über die Gentechnik genannt. Ein anderer Naturwissenschaftler spricht von einem „Kulturkampf“ zwischen Vertretern eines „christlich, zumindest kantianischen Menschenbilds“ und eines „szientistisch -sozialdarwinistischen Menschenbilds“. Schließlich wird von einem posthumanistischen Menschenbild gesprochen: die Transhumanisten.
Dadurch wird uns klar, dass wir in einem posttraditionellen Zeitalter leben. Zu betonen ist, dass der interkulturelle Dialog, den man im SATYAKAMA anstrebt, diese Tatsache zur Kenntnis nehmen muss. Denn auch Inder und Chinesen werden durch die neuen Debatten beeinflusst und mitgeprägt – ja, sie nehmen auch am Diskurs teil.
Aufschlussreich wäre es deshalb, die Entstehung der geschilderten Menschenbilder in den Hauptepochen der Weltgeschichte, wenn auch stichwortartig, zu durchleuchten.
Die „Achsenzeit“ der Weltgeschichte“
Was K. Jaspers darunter verstand, war die Tatsache, dass um etwa 800 v.u.Z. und 200 n.u.Z. in den damaligen Hochkulturen eine geistige Revolution im Gange war, die das Denken über den Menschen bis auf den heutigen Tag geprägt hat. Zu nennen sind: die Propheten und Psalmen im Judentum, die Vorsokratiker in Griechenland, die Lehre Zarathustras in Persien, die Upanishaden und Buddhismus in Indien und die Lehre der Konfuzianer in China. Dies hat die Menschenbilder im Osten und Westen jahrhundertlang bestimmt: z. B. das der Juden, der Christen und später der Muslime im Westen, wo bekanntlich „monotheistische“ Gottesbilder entstanden, sowie im Osten, wo die genannten Lehren den Ausgangspunkt für diverse philosophische und religiöse Traditionen bildeten.

Die Zeit um den Anfang der heutigen Zeitrechnung („Christi Geburt“)
Für den Westen führte die Begegnung von zwei Traditionen (biblisch und griechisch) zur Grundlegung des christlichen Menschen– und Gottesbilds (Christus ist der Logos). In Indien kam es in dieser (epischen) Zeit zur Ausformung der sechs philosophischen Systeme (darshana) sowie der diversen Lehrbücher (shastras). In China war dies die goldene Zeit des Konfuzianismus (Staatsideologie); Aufkommen des volkstümlichen Daoismus sowie die langsame Ausbreitung des Buddhismus.
Fortsetzung der kulturellen Ausformung in Europa, dem Nahen Osten und Asien
Zunächst muss man das Entstehen des Islam (622 - 632) erwähnen. Über die nächsten Jahrhunderte wurde christliches Gedankengut maßgebend für Europa: Höhepunkt der philosophischen Entwicklung war die Hochscholastik (Thomas von Aquin). In China wurde der Buddhismus wichtiger (Glanzeit: 618 – 907) – konfuzianische Gegenbewegung. Indische Systeme werden ausgebaut (Shankara, Ramanuja) – der Islam fasst Fuß im Norden.
Von der Neuzeit bis in die „Moderne“
Vorauszuschicken ist die Tatsache, dass die indischen und chinesischen Kulturräume keine historische Epoche der Renaissance und Aufklärung durchgemacht haben. Der Blick auf den Menschen–an-sich wurde zum ersten Mal durch den Europäer R. Descartes geworfen, als er meinte, der Mensch kann an alles zweifeln, nur nicht, dass er zweifelt, d. h. denkt (das denkende Subjekt). Erst Immanuel Kant (1783) meinte, die Grundfrage der Philosophie sei „Was ist der Mensch?“. d. h. Anthropologie.
Im weiteren Gespräch wurde stichwortartig die weitere Entwicklung im Denken über den Menschen genannt.
Die „Kränkungen des Menschen“
Sigmund Freud soll darauf hingewiesen haben, dass der Mensch der (europäischen) Neuzeit dreimal „gekränkt“ wurde: Erstens, als Kopernikus zeigte, dass er nicht im Zentrum des Universums steht, denn die Erde bewegt sich um die Sonne. Zweitens, als Charles Darwin die Erde umsegelte und erklärte, dass der Mensch biologische Vorfahren (Primaten) hat. Drittens: der Beitrag von Freud selbst, der zeigte, dass der Mensch nicht einmal Herr im eigenen Haus ist, da er durch sein Unbewusstes sich „treiben“ lässt.
Im anschließenden Gedankenaustausch wurde auf andere Veränderungen im Menschenbild aufmerksam gemacht. Einige Beispiele: Kant bewies, dass man die Existenz Gottes nicht beweisen kann; Feuerbach plädierte dafür, dass der Mensch endlich bekommt, was des Menschen ist; Nietzsche sehnte sich nach dem Übermenschen. Die „Traumdeutung“ von Freud (1900) hat das Denken über die menschliche Psyche verändert.
Nach den beiden Weltkriegen
Am wichtigsten: der Mensch weiß, dass er sich selbst und seine Kulturen zerstören kann.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben christliche Theologen gefragt, ob Theologie nach Auschwitz möglich wäre. Dennoch: wird die Frage nach dem Menschen nicht dringender denn je? Der alte Kolonialismus geht zu Ende. Im Westen geht der Wirtschaftsboom weiter und eine neue Zeit der Technik bzw. Technologie beginnt. Wichtigste Entwicklung hinsichtlich des heutigen Menschenbilds: die Gentechnik – der Mensch entdeckt, dass er sich selbst manipulieren kann. Was sagt dies über das Menschenbild heute?



B) "Experiment Mensch"

– das Menschenbild in der heutigen Diskussion Versuch einer Übersicht der diversen Standpunkte: zwischen Karl Rahner, Karl Popper und Peter Sloderdijk.

Zur Sprache kam zunächst das Modell von dem Philosophen Karl Popper und dem führenden Hirnforscher John Eccles, sowie von Karl Rahner und Peter Sloterdijk.
Das Popper – Eccles Modell: Vom Dualismus zum Trialismus
Es musste darauf hingewiesen werden, dass das wissenschaftliche Denken im 20. Jahrhundert sich von dem traditionellen Modell der Leib-Seele-Einheit des Menschen verabschiedet hat. Damit ist auch der Cartesianische Dualismus aufgehoben, der das traditionelle Menschenbild geprägt hat. Im Jahr 1970 hat Karl Popper ein Drei – Welten - Modell vorgelegt, das Eccles zu der Erklärung veranlasst hat:“ Popper und ich sind Interaktionisten und – was noch mehr ist – trialistische Interaktionisten“. Eccles (1973) meint, die drei Welten sind leicht zu definieren. Bei Welt Eins handelt es sich um „Physikalische Gegenstände und Zustände“ mit folgenden Unterteilen: 1. Anorganisch 2. Biologie 3. Artefakte. Welt Zwei beinhaltet „Bewusstseins - Zustände mit den Unterteilungen „Subjektives Wissen“ und „Erleben von“. Welt Drei hat mit „Wissen im objektiven Sinn“ zu tun, nämlich „Kulturerbe kodiert in materiellen Substraten“ und „Theoretische Systeme“. Es lag auf der Hand, dass man dazu unterschiedlich Stellung nehmen kann Eccles meint, dass in der Klassifikation „nichts ausgelassen ist“. Er stimme Popper vollkommen zu. (Literatur: John C. Eccles, Das Gehirn des Menschen, Weyarn 2000 sowie Karl Popper .- John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 6. Auflage München 1997)
Karl Rahner: Zur aktiven Selbstmanipulation des Menschen: „der Mensch ist operabel“
Der bekannte (katholische) Religionsphilosoph, Karl Rahner, hat Erstaunliches und Wegweisendes über die völlig neue geschichtliche Situation, in der der Mensch sich heute befindet, ausgesprochen. In einem Artikel aus dem Jahr 1967 (Schriften, Bd. 8) stellt er fest:
„Die Zukunft der Selbstmanipulation des Menschen hat schon begonnen“. Was versteht er unter „Selbstmanipulation“? Er sagt: „Heute ändert der Mensch sich.“ und „planend, aktiv handelnd ändert der Mensch sich selbst“ Die Situation heute ist radikal anders als früher: „der Mensch plant sich selbst…..er entdeckt sich als operabel“. Dies führt Rahner auf die neuen Erkenntnisse aller anthropologischen Wissenschaften zurück. Man will „in das letzte Gefüge des Menschen eindringen, um es umzugestalten“. Diesen neuen, anderen Menschen will man „nüchtern entwerfen. planen, wissenschaftlich errechnen und ihn nach diesem Planentwurf technisch herstellen“

Was heißt „herstellen“? Rahner spricht von den „Werkhallen der Fabrik des neuen Menschen“, in der die Welt „hominisiert“ wird. Aufschlussreich ist Rahners Aufzählung der
Werkhallen: a. die Werkhalle der Biologie, der Biochemie und Genetik b. die Werkhalle der Medizin, der Pharmakologie und Psychopharmakologie c. die psychologische Werkhalle (Stichworte: „Gehirnwäsche“, moderne Indoktrination) d. die soziologische Werkhalle (Bevölkerungszuwachs kontrollieren, Sozialmedizin) und e. die politische Werkhalle. Hier „sitzt die Weltregierung, getragen von den herangezüchteten Superintelligenzen“ , die die Werkhallen koordiniert. Rahner räumt (1967) ein, dass die Fabrik des neuen Menschen noch nicht steht, aber die verschiedenen Teile werden auf einem großen Areal gebaut. Er sieht voraus, dass die Teile zusammenwachsen werden: zu einer „einzigen großen Fabrik, in der der operable Mensch haust, um sich selbst zu erfinden“.
Rahner rät seinen Glaubensgenossen, sich nicht hinter „falsch verstandenen christlichen Idealen und Maximen“ zu verstecken. „Die Welt von morgen wird anders sein als die von heute“. Rahner meint, dass Christen mit „Mut und schöpferische Phantasie“ zu einer schöpferischen Zukunftsideologie“ beitragen könnten und sich nicht mit der „Rolle der konservativen Warner und Retardierer“ begnügen sollen. Rahner ist überzeugt, „dass
der Mensch wirklich Geschichte macht, also so sich selbst, und dass er gerade darin nicht sich selbst gehört, sondern dem Geheimnis der Liebe.“
Peter Sloterdijk: Ära des Posthumanismus?
Der bekannte Autor der „Kritik der zynischen Vernunft“ hat mit seiner Elmauer Rede über „Regeln für den Menschenpark“ für Aufsehen in der philosophischen Landschaft gesorgt,
Er beruft sich ausdrücklich auf K. Rahner und meint, dass Menschen „ nichts Perverses“ tun, wenn sie sich technisch verändern“. Sloterdijk sieht, dass mit der Ära des Posthumanismus der Eintritt in das gelobte Land beginnt. Bereits in der Elmauer Rede wittert Sloterdijk schon bei Plato den Anfang von „Reden in der Welt, die von der Menschengemeinschaft sprechen wie von einem zoologischen Park, der zugleich ein Themenpark ist; die Menschenhaltung in Parks oder Städten erscheint von jetzt an als eine zoo – politische Aufgabe“. Wenn es um die Würde des Menschen geht, weiß Sloterdijk, dass Menschen in den politischen Themenparks „nicht nur gehalten werden, sondern sich selbst darin halten. Menschen sind selbsthegende, selbsthütende Wesen, die – wo auch immer sie leben – einen Parkraum um sich erzeugen“.
In diesem Zusammenhang spricht Sloterdijk immer wieder von dem neuen Menschen, der sich selbst „züchtet“. So interpretiert er Äußerungen von Nietzsches Zarathustra. Damit wird der „humanistischer Horizont gesprengt“. Die Transhumanisten anvisieren eine neue Menschwerdung, die die Ära des Posthumanismus einleitet. Durch die Gen – Technologie wird die Evolution des Menschen vorangetrieben. Diese Zukunftsmusik der Posthumanisten hat eine eigene Metaphysik - ein Kritiker bemerkt: Anthropologie avanciert hier zum Metaphysikersatz. Alles in allem: das neue posthumanistische Menschenbild zielt auf nichts weniger als den „homo clonatus“. Wir werden in künftigen Sitzungen von SATYAKAMA sicherlich darauf zu sprechen kommen.
Der Mensch als kulturelles Programm
Etwa am Anfang dieses Jahrhunderts schrieb Professor Wolfram Hogrebe (Bonn) die folgenden bemerkenswerten Sätze bei der Ankündigung des XIX Deutschen Kongresses für Philosophie (Bonn 2002):

AM BEGINN eines neuen Jahrhunderts und Jahrtausends stehen die Gesellschaften weltweit vor selbstinduzierten Risiken und Chancen zugleich. Dem Naturbegriff des Menschen nach sind Grenzen der Machbarkeit gefallen, die ebenso erschrecken wie hoffen lassen.



Wenn Menschen sich ihrer Manipulierbarkeit ohne Gr




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i) Philosophie - Ausgangspunkt für einen Dialog de
k) Woher kommen wir - vom Ursprung des Menschen