Themen dieses Kapitels :

A) Die Wiedergeburtstheorie (Karma) und die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen
B) Glaube und Religion in verschiedenen Gesellschaftsformen



A) Die Wiedergeburtstheorie (Karma)

und die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen

Die gegenwärtige Diskussion über die Willensfreiheit des Menschen erhält eine gewisse Brisanz durch die Ergebnisse der modernen Hirnforschung, die ein anderes Licht auf die Problematik werfen. Bei den Sitzungen der Gesellschaft für Indische Philosophie (Köln) wurde die Frage aufgeworfen: Ist die Karma- bzw. Wiedergeburtstheorie der Inder (Stichworte: Seelenwanderung, Reinkarnation, Metempsychose) mit der Willensfreiheit vereinbar? Dazu möchte ich in drei Schritten Stellung nehmen.

I. Der indische Befund
Die ältesten Äußerungen befinden sich in den Upanishaden und haben zunächst mit einem mythischen Weltbild zu tun: Die Theorie der zwei Wege: „Devayana“ (Der Weg der Götter) und „Pitryana“ (Der Weg der Väter). Dazu kommt die rituelle Theorie: die Fünf –Feuer – Lehre (pancagnividya), die die vedische Opferpraxis (brahmanas) aufnimmt und die Frage nach (Wieder-)Geburt und Tod bildhaft veranschaulicht. Der Begriff „karman“ (Werk, Handlung, Tat) taucht erst an einer Stelle auf, wo die Frage gestellt wird: Wo bleibt dann der Mensch selbst (nach dem Tod)? Bald wird die Frage prinzipiell moralisch verstanden:
„Je nachdem einer nun besteht aus diesem oder aus jenem, je nachdem er handelt, je nachdem er wandelt, danach wird er geboren; wer Gutes tat, wird als Guter geboren, wer Böses tat, wird als Böser geboren, heilig wird er durch heiliges Werk, böse durch böses“.
(Brihadaranyaka –Upanishad 4,4,5). Die genannten Auffassungen setzen sich in den Epen durch und erreichen einen Höhepunkt ethischen Denkens in der Bhagavad Gita, in der die drei Wege zur Befreiung aus dem Kreislauf gelehrt werden: die Wege (marga) des meditativen Erkennens, des selbstlosen Handelns und der liebenden Hingabe. Damit bietet die Gita eine erste Antwort auf die Frage nach der menschlichen Freiheit an sich. Auch die abstruse Spekulation in den Dharmashastras soll hier erwähnt werden.

II Die Ergebnisse der Hirnforschung
Der bekannte Forscher, Gerhard Roth, weist auf „unsere Grundüberzeugung“ hin, dass wir „bei unserem Wollen frei sind“. Dieses Konzept, meint er, birgt einige Probleme in sich: erstens: wir nehmen an, dass Willensfreiheit tatsächlich existiert; zweitens: wir verwechseln Willensfreiheit mit „einen Willen haben“; drittens: ein Willensakt führt keineswegs notwendig zu einer Handlung; viertens: wenn, wie manche vermuten, quantenphysikalische Prozesse eine Rolle spielen, würde dies nur bedeuten, „ dass im Gehirn der schlichte Zufall
(mit)regiert“. Die Frage, die zu stellen wäre, heißt: wie weit ist die Hirnforschung wirklich?
Stellt sie die Willensfreiheit in Frage? Andererseits muss man feststellen, dass man im heutigen philosophischen Diskurs keineswegs darüber einig ist, was „Willensfreiheit“ bedeutet. Noch interessanter: selbst der Begriff der Freiheit ist umstritten.

III. Versuch einer indischen Antwort
Die Karma-Theorie geht davon aus, dass der Mensch nicht frei geboren ist. Er befindet sich in einem Kreislauf des stets Immer-wieder-geboren-werdens. Die „Ursache“: die Taten vergangenen Lebens. Dennoch weiß die indische Tradition, dass der Mensch sich befreien kann (moksha). Die klassische Yoga-Lehre geht noch weiter. Sie behauptet, dass die absolute Freiheit (kaivalyam) möglich ist.

Fortsetzung des Gesprächs nachstehend:

Am Anfang der Sitzung wurde die Frage gestellt: wurde der so genannte Urknall am Anfang der Weltschöpfung von einer Art „Willensdrang“ verursacht? Die naheliegende Frage: von wem soll dieser „Wille“ gewesen sein? Menschen, die im üblichen Sinne „religiös“ denken, könnten antworten: von einer Art „göttlichem Wesen“. Man müsste dann erklären, wie dieses Wesen vorzustellen sei? Um diese Frage zu beantworten, muss man zwangsläufig davon ausgehen, was man für ein Menschenbild bzw. Weltbild hat.
Die Frage nach dem eigenen Menschenbild scheint in diesem Zusammenhang grundsätzlich.
Die jüdisch-christliche Tradition meint: Gott habe den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Diese Gottähnlichkeit zeigt sich darin, dass der Mensch „Geist“ ist. Die Schöpfung (und infolgedessen der Urknall!) wäre dann auf den Schöpfungswillen Gottes zurückzuführen. Andererseits hat die westliche Philosophie auch eine nichtgeistige Tradition. Spätestens seit Feuerbach und Karl Marx gibt es materialistische Weltbilder, die atheistisch sind. Darin gibt es keinen Platz für einen Schöpfungswillen.
Die östlichen Philosophien gehen davon aus, dass die Weltgeschichte weder Anfang noch Ende hat. Die Veden vertraten die Auffassung einer universalen Weltordnung (rta).
In den Brahmanas und Upanishaden entstand die Idee eines Absoluten (brahman), das als Urgrund des Weltgeschehens verstanden wurde. Das menschliche Selbst (atman) ist in seinem Kern mit brahman identisch. Dennoch ist es höchst problematisch (wie in vorausgegangenen Sitzungen berichtet wurde, wenn Schopenhauer Brahman mit dem Willen identifiziert.
Die Buddhisten vertreten die Ansicht, dass es kein „Ich“ an sich gibt. An die Stelle einer Ich-Auffassung treten die 5 skandhas. Doch wird in der Lehre des „bedingten Entstehens“ das Entstehen von „Willensregungen“ postuliert, die Karma-Formationen (samskaras) und schließlich eine neue (Wieder)-Geburt verursachen. Von einem ursprünglichen Willen kann keine Rede sein.
Der andere Schwerpunkt bei dieser Sitzung betraf das Verhältnis von Vernunft und Glaube.
Kann man die beiden Begriffe „unter einen Hut bringen“, fragte ein Teilnehmer? Festzustellen ist, dass dies eine typisch abendländische Fragestellung ist, die im europäischen Mittelalter auch kontrovers diskutiert wurde. Der Gedankenaustausch in dieser Phase der Sitzung hatte auch seine persönlicheren Momente (wenn jemand zu einem Partner sagt „ich liebe Dich“, ist die absolute Einheit von Glaube und Vernunft gegeben bzw. existentiell vollzogen).
Wichtig ist dennoch, zu klären, was man unter „Glaube“ und „Vernunft“ versteht. Während der Diskussion konnten die Teilnehmer auf die Erörterungen während der Vorlesungen (mittwochs, 14.00 Uhr, S 69) Bezug nehmen und sich auf die grundsätzliche Einheit von Glaube und Vernunft einigen.
Auch zur Sprache kamen die Fragen nach den Grenzen der Freiheit (Freiheit ist nicht absolut) sowie nach dem Verhältnis von Freiheit und Verantwortung.





B) Glaube und Religion

in verschiedenen Gesellschaftsformen



Der Vorschlag, dass man zunächst über die Situation in der Bundesrepublik spricht, wurde einstimmig angenommen. Statistisch gesehen gibt es jeweils 25-26 Millionen Mitglieder der Katholischen und Evangelischen Kirchen. Dazu kommen circa 3 Millionen Muslime. Dass die Gesellschaft immer noch sehr von den christlichen Gemeinschaften geprägt ist, merkt man schon am Parteisystem, am Schulsystem, anhand der Feiertage. Häufig hört man die Aussage: man soll die Kirche im Dorf lassen.
Gleich am Anfang wurde das Verhalten der Christen im Nationalsozialismus erörtert. Einige Teilnehmer, die die Kriegsjahre erlebt hatten, betonten den „inneren“ Widerstand in vielen Teilen der Bevölkerung. Den Nazis ist es gelungen, einen Keil durch die EK zu treiben: es gab Spannungen zwischen „bekennenden“ und „deutschen“ Christen. Die Nazis missbrauchten die etablierten Strukturen der Kirchen (viele waren zuvor katholisch bzw. protestantisch). Die gemeinsamen Erfahrungen führten nach dem Krieg zu einer breiten ökumenischen Bewegung in beiden Kirchen, die noch im Gange ist. K. Adenauer bestand darauf, dass die neue CDU aus beiden Konfessionen hervorgeht. Kann man die heutige Gesellschaft „christlich“ nennen? Die CDU meint, sie sei dem „christlichen Menschenbild“ verpflichtet.
Im zweiten Teil der Sitzung wurde das Verhältnis von Religion und Gesellschaft in China erörtert. (Helmut Schmidt soll zu Deng Xiao Ping gesagt haben: Ihr seid doch alle Konfuzianer! Die Antwort von Deng: „so what?“). Herr Parikh berichtete über seine Erfahrungen in einem chinesischen Dorf. Mehrmals am Ende des Arbeitstages beobachtete er, dass die Arbeiter sich bei einem religiösen( buddhistischen) Ritual zusammenfanden. Er stellte die Frage an seine Dolmetscherin: „sind Sie Buddhist?“. Mehrere Tage sprach sie nicht mehr mit ihm. Später verstand er, dass man darüber nicht öffentlich sprechen soll.
Anschließend wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Zeitschrift „Die Zeit“ eine vierteilige Serie mit dem Titel „woran glaubt China“ veröffentlicht. Die Journalisten meinen, dass die chinesische Regierung eine gewisse Toleranz den „alten“ Religionen gegenüber zeigt. Es gibt nicht nur buddhistische Mönche aber auch protestantische Pastoren. In einer Provinz hat ein römisch-katholischer Bischof die Möglichkeit, sich seelsorgerlich zu betätigen. Wer Interesse hat, kann im Internet die Homepage von der Zeitschrift abrufen.









Druckbare Version

b) Schopenhauer und die indische Philosophie
d) Sterben, Tod und Jenseitshoffnung