Themen dieses Kapitels:

A) Menschenwürde, Menschenbild und das Gespräch der Kulturen
B) Menschenwürde und Globalisierung
C) Humanisierung der Globalisierung



A) Menschenwürde, Menschenbild

und das Gespräch der Kulturen

Zur Einführung habe ich zunächst darauf hingewiesen, dass alle drei Themenbereiche mit der Grundfrage der Philosophie zu tun haben: Was ist der Mensch? Wir haben versucht, die Antworten der Kulturen zu formulieren. Zu den Kulturen des Abendlands wäre zu sagen, dass das jüdisch-christliche Menschenbild prägend war. Sowohl das Judentum als auch das Christentum sind der Auffassung, dass der Mensch „nach dem Bild Gottes“ geschaffen ist (Genesis 1,26). Dieses Bild des Menschen wird durch die „Erbsünde“ relativiert. Im Christentum wird der Mensch, Jesus von Nazareth, als der „Sohn Gottes“ und als Erlöser verstanden. Die Auffassung der Muslime ist zunächst ähnlich wie die der Christen: der Mensch ist das Geschöpf Allahs (Koran 49,13). Der Mensch Jesus wird als Prophet verstanden. Aufschlussreich ist die Erklärung der Islamischen Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland (2002). Im Artikel 14 heißt es: „die europäische Kultur ist vom klassisch griechisch-römischen sowie jüdisch-christlich-islamischen Erbe und der Aufklärung geprägt. Sie ist wesentlich von der islamischen Philosophie und Zivilisation beeinflusst“. In meinem Vorlesungen habe ich auf den Grundsatz der indischen Philosophie aufmerksam gemacht: Atman ist Brahman, d.h. das (menschliche) Selbst ist grundsätzlich mit dem (absoluten) Brahman identisch. Man denke auch an den zweiten Satz: tat tvam asi (das bist Du) Sehr einflussreich sind die Auffassungen des Sankhya-Systems, in dem die Weltprinzipien Purusha-Prakrti (etwa: Geistigkeit-Stofflichkeit) die spezifisch menschlichen Eigenschaften (Intellekt, Ich-Bewusstsein und Denkvermögen) aus Prakrti entstehen lässt. (In diesem Zusammenhang ist auch an die „avataras“ und an „samsara“ zu denken.)
Im Buddhismus wird die Frage des Menschenbildes äußerst schwierig, denn der Atman an sich wird geleugnet (anatman). Stattdessen wird von den fünf skandhas gesprochen. Die Grundübel (Gier, Hass und Nichtwissen), die den Kreislauf der (menschlichen) Wiedergeburt verursachen, sind dennoch offensichtlich auf den „normalen Menschen“ bezogen.
Fazit: ein Gespräch der Kulturen ist ohne „Kenntnis der jeweiligen Menschenbilder kaum möglich.

MENSCHENWÜRDE – MENSCHENRECHTE
Wie wir bereits anfangs (in der Vorlesung!) feststellten, ist das Verständnis der Menschenwürde von den jeweiligen Menschenbildern abhängig. Für das deutsche Volk (und nicht nur für Deutsche!) ist die „Würde des Menschen unantastbar“ (Grundgesetz Artikel 1) Worauf bezieht sich diese Würde? Die Frage erhob sich: was ist „unantastbar“? Wir stellten fest, dass Menschenwürde sich in Menschenrechte und –pflichten ausdrückt..

In der abendländischen Philosophie wird der Mensch als vernunftbegabtes Wesen, als Geist und als Person verstanden. Prägend für das abendländische Verständnis sind z.B. die
platonische Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele, die biblischen Zehn Gebote und auch der Liebesbegriff von Paulus (1 Kor.13). (Es fällt auf, dass der Begriff „Person“ in der
Philosophie heute sehr umstritten ist.) In der Charta der Muslime wird die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik bejaht (Art. 11) und ein klerikaler Gottesstaat abgelehnt (Art.12)

Im Hinduismus werden die vier Lebensziele des Menschen (purushartha) betont, die in den Vorlesungen ausführlich behandelt wurden. Noch konkreter ist die Aufforderung der Bhagavad Gita nach tätiger Liebe (bhakti). Damit sind die Buddhisten grundsätzlich
einig- sie betonen den edlen achteiligen Pfad.

DAS GESPRÄCH DER KULTUREN
Wir haben versucht, die Frage zu beantworten: wie baut man eine Brücke zwischen den Kulturen, damit ein wahrer Dialog entsteht? Es ist kaum möglich, die vielen Einzelbeiträge
nachzuzeichnen. Ich nenne die wichtigsten Gedanken. -Kants Formulierung des Kategorischen Imperativs wurde genannt. Wenn wir alle so handeln würden! Man soll aber nicht nur Rechte
verlangen, sondern auch an die Pflichten denken. - der Begriff „Humanität“ wurde erwähnt. Was versteht man darunter? - in jeder Begegnung (Menschen/Kulturen) soll das Herz nicht
fehlen. Ist aber nicht eine Herzensschulung notwendig? Dies bedeutet, dass man so erzogen bzw. anerzogen werden muss.
Das ist die Grundvoraussetzung für die nötige Empathie zwischen Menschen..
ein wichtiger Gedanke war der Hinweis auf das Gleichnis des Barmherzigen Samariters (Lukas 10, 30-37). Man sollte aber nicht vergessen, dass Jesus das Gleichnis als Antwort auf die Frage „wer ist mein Nächster?“ erzählt. Das Verhalten des Samariters war beispielhaft:der leidende Mensch wurde schlicht in seinem Menschsein bejaht und angenommen. Ist das nicht der Kern jeder Begegnung–das bedingungslose Ja-Sagen zu einem Menschen? Jeder ist mein „Nächster“.-In der modernen Psychologie wird darauf hingewiesen, dass die Annahme eines (anderen) Menschen von der eigenen Selbstannahme abhängig ist bzw. dies voraussetzt. Liebe Dich selbst, dann kannst Du auch andere lieben! Mein eigener Gedanke: muss z.B. ein neugeborener Mensch nicht zuallererst erfahren (selbst im Mutterleib), dass er angenommen und geliebt wird? Ist das nicht die Voraussetzung dafür, dass er darauf antworten kann? Ist nicht jeder Mensch ein Wert an sich?
Jemand meinte, wir müssen zurück zu der Frage: was ist Menschenwürde an sich? Mein Vorschlag: dann aber in Zusammenhang mit der Globalisierung!



B) Menschenwürde

und die Frage der Globalisierung

Wir erinnern uns: am Ende unseres letzten Gesprächs haben wir festgestellt, dass die Frage „was ist Menschenwürde an sich?“ genauer beantwortet werden soll. Infolgedessen gingen wir auf die Suche nach Antworten auf diese Frage.

Die Suche nach Antworten
Zunächst wies man darauf hin, dass es einfacher ist, die Frage zu beantworten: was ist menschenunwürdig. Wann fühlen wir uns in unserem Menschsein „unterdrückt“?
Eine klare Antwort bietet uns das Grundgesetz. In Artikeln 1 - 19 formuliert der Gesetzgeber die Grundrechte des Menschen: z. B. freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf Leben, Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit des Glaubens und des Gewissens, Meinungsfreiheit (in Wort, Schrift und Bild), Vereinigungsfreiheit usw. usw. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass das Grundgesetz ein Werk von Juristen ist und deshalb unsere Frage (die eine philosophische ist) nicht direkt beantwortet.
Ein Teilnehmer machte einen Versuch, die Frage zu beantworten, indem er eine grundlegende Frage stellte: kann man Menschenwürde definieren, ohne dass man die religiöse Frage einbezieht? Anders gesagt: ist der Mensch nicht grundsätzlich religiös d.h. ein „Homo religiosus?“. Philosophisch formuliert: haben Menschenwürde und Religion den einen und denselben Seinsgrund? Einwand: was würde ein Atheist dazu sagen? Was ist aber der Kern der Religiosität? Ist Menschsein ohne Glauben möglich? Die Frage wurde von dem Teilnehmer verneint. Es gab auch gegenteilige Meinungen.
Ein anderer Teilnehmer ging von einem naturwissenschaftlichen Standpunkt aus und erklärte, dass er zunächst durch das mechanistische Weltbild des 19. Jahrhunderts (Laplace u.a.) beeinflusst war. Dennoch, langsam befand er sich auf einem tieferen Weg und denkt heute, dass Menschsein bedeutet: glauben, hoffen und lieben zu dürfen.
Es gab auch Stimmen, die zu der Ansicht neigten, dass das Menschsein an sich „würdevoll“ ist, da der Mensch an sich ein Wert ist. Dies bedeutet, dass man Menschenwürde dort erlebt, wo Menschen sich radikal annehmen und zueinander „Ja“ sagen. Ich neige selbst zu der
Formulierung, dass Menschenwürde zwischen Menschen geschieht, wenn ein anderer mich voll anerkennt und respektiert. Menschenwürde ist ein existentielles Geschehen. (Aber wir wissen, dass die Menschenwürde in der Geschichte der Menschheit sehr oft geleugnet und mit Füssen getreten wurde und noch immer wird).

Menschenwürde in Gefahr – die Verlierer der Globalisierung
Die meisten Teilnehmer meinten, dass die rasante Globalisierung heute ein Zeichen dafür ist, dass der Mensch zu einem „Homo oeconomicus“ herabgestuft wird. Das Kapital nimmt keine Rücksicht auf individuelle Schicksale. Die Rede ist von „Resourcenverteilung“ und von Profitmaximierung – man sollte eine Gewinnermentalität haben. Dennoch spricht man von einer „sozialen Marktwirtschaft“. Wo bleibt der Mensch? (In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass einer der renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler, der Amerikaner Paul Samuelson, einmal sagte: „Der Markt hat kein Herz“). Wir waren uns darüber einig, dass Solidarität unter uns notwendig ist, damit Gerechtigkeit entsteht.



C) Humanisierung der Globalisierung

Als vorbereitende Lektüre wurde die Berliner Rede (2007) vom Bundespräsidenten Horst Köhler empfohlen. Das Dokument ist aufschlussreich. Herr Köhler bemüht sich, die Nach- und Vorteile der Globalisierung zu nennen und stellt fest: „Wir Deutsche brauchen aber in Sachen Globalisierung mehr Klarheit, um selbstbestimmt leben zu können“.
Herr Köhler meint, dass die vorhergesagte Verarmung der Entwicklungsländer nicht stattgefunden hat: „unter dem Strich hat die Globalisierung in den ärmeren Ländern große Fortschritte bewirkt“. Dennoch lebt ein großer Teil der Menschheit in tiefster Armut. Diese Menschen haben unzureichende Teilhabe an der Globalisierung.
„Europa sollte sein Verhältnis zu den ärmeren Ländern auf eine andere Grundlage stellen“ – „auch aus Eigeninteresse“. Herr Köhler nennt eine Reihe von Maßnahmen, die notwendig sind. Das sind u. a.: das Ende der Doppelstandards in der Welthandelspolitik; eine veränderte Zollpolitik der Industrieländer; ein verbesserter Zugang zu den Märkten der Industriestaaten.
Der Klimawandel bedroht alle. Die Industriestaaten sollten durch Technik und einen veränderten Lebensstil ihre Emissionen drastisch senken.

Weiterhin um die Globalisierung zum Nutzen aller zu gestalten, soll man an der Stärkung der Vereinten Nationen arbeiten sowie die verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen besser koordinieren. Vor allem soll die Arbeit der internationalen Organisationen für Finanz, Arbeit und Welthandel stärker an die Vereinten Nationen herangeführt werden.


Die Schwellen- und Entwicklungsländer sollen bessere Mitsprachemöglichkeiten im Internationalen Währungsfonds haben. Die internationalen Finanzmärkte haben zum wirtschaftlichen Wachstum erheblich beigetragen. Aber „wo liegen die Risiken dieser Märkte“? Die Menschen müssen auf diese Märkte vertrauen können. Dafür ist ausreichende politische Kontrolle notwendig. Denn niemand kann ausschließen, dass die nächste Krise die ganze Weltwirtschaft in Mitleidenschaft zieht.

Mehrere Seiten widmet der Bundespräsident dazu, um die deutsche Verantwortung für eine Humanisierung der Globalisierung zu beschreiben. Ein Zitat soll genügen: „Ich glaube Europa kann und sollte sich mit weit mehr Energie daran beteiligen, den Weg zu einer weltweiten Werte- und Friedensgemeinschaft zu finden“.

Die Berliner Rede kann man als eindrucksvoll bezeichnen. Aber in den anschließenden Diskussionsbeiträgen konnte man eine gewisse Skepsis nicht überhören. Wir haben die Frage gestellt, ob wir (die Anwesenden) auf irgendeiner Weise selbst Verlierer der Globalisierung
(oder auch Gewinner) sind. Die Lebenserfahrungen waren sehr unterschiedlich aber sehr vielschichtig. Umso erstaunlicher war es, dass es Stimmen gab, die keineswegs optimistisch in die Zukunft blickten. Mehr als einmal ist das Wort „Resignation“ gefallen. Ein Mitglied entgegnete: das kann doch nicht unsere Botschaft an die nächste Generation sein!




Druckbare Version

Bisherige Themen
b) Schopenhauer und die indische Philosophie