Herr Dr. Sequeira hat mich vor einigen Wochen gebeten, zum heutigen Tage auch einige Gedanken beizutragen.
Im Rahmen meines Seniorenstudiums Philosophie stieß ich vor ca. 10 Jahren auf dieses indische Seminar, das damals noch im Philosophikum Raum S63 stattfand.

Wir haben damals Texte aus der Bhagavadgita gelesen, von der der Bildungstheoretiker und Minister Wilhelm von Humboldt schreibt: "Die Bhagavadgita ist das schönste, ja vielleicht das einzige wahrhaft philosohische Gedicht, das alle uns bekannten Literaturen aufzuweisen haben."
Es ist eine Lehre, die an unsere Verantwortung und Pflicht appelliert, uns selbst zu verstehen und leidensachaftlos zu handeln. Im 15. Gesang Vers 5 heißt es: (Reclam Seite 86)

Frei von Dünkel, Hang, Betörung
Lediglich der Begierden Kette,
In den Weltgeist sich versenkend
Weise gehen zur höchsten Stätte.

Interessant ist das Menschenbild, das sich hiermit verbindet: Es ist ein absichtloses Tun, das die Früchte der Handlungen nicht genießen will. In dieser Weise ist es möglich, eine transzendente Sicht zu erreichen, die eine Wirklichkeitsebene jenseits des Ego erkennt. Dies ist gleichzusetzen mit dem sprirituellen Erwachen.
Besonders angesprochen hat mich die Erlösungsvorstellung der Gita im vierten Gesang im Appell an Ardschuna
Vers 16 Was "Werk" ist und was "Nichtwerk" ist
.............Das hat die Seher selbst verwirrt;
.............Das Werk will ich erklären Dir,
.............Das schnell Dich zur Lösung führt
Vers 17 Denn: weise unterscheiden muss
.............Man zwischen Tat und falscher Tat
.............und zwischen dem, was "Nicht-Tat" ist.
.............Verborgen ist der Werke Pfad!
Vers 18 Wer in dem Tuin das Nicht-Tun sieht
.............Und in dem Nicht-Tun sieht das Tun,
.............Tut alle Werke einsichtsvoll,
.............Weil in Eingebung sich beruhn.
Vers 20 Wer nicht der Taten Frucht erstrebt,
.............zufrieden auf sich selbst gestellt. 0
.............Der ist von allem Handeln frei,
.............auch wenn er handelt in der Welt.

Dieser Weg des selbstlosen Handelns ist neben dem meditativen Erkennen und der liebenden Hingabe eines der Herzstücke indischer Philsosophie.
Im Unterschied zur westlichen Kultur ist hier die Trennung zwischen Geist, Körper und Seele nicht vorhanden.
Es gibt noch eine andere asiatische Kultur ohne diese Trennung: Es ist der Buddhismus. Vor über 15 Jahren befand ich mich in einer persönlichen Lebenskrise. In einem Meditationszentrum in Todtmoos-Rütte (Schwarzwald) stieß ich auf Karlfried Graf Drückheims Buch: "Vom doppelten Ursprung des Menschen". (Herder 1973 Band 480)
Dürckheim hat im Rückgriff auf die Erfahrungen der christlichen Mystiker und der Weisen des Ostens einen Weg zur Selbstfindung entwickelt, der für den modernen Menschen des Westens gangbar ist. In seinem Buch schreibt er u.a.: "Reduziert zum Funktionär einer ... wachsenden und wuchernden Konsum- und Leistungsgesellschaft hat der Mensch des Westens den inneren Weg in einem Ausmaß verfehlt, dass nunmehr die Rebellion der Tiefenschichten seiner Seele eine weltgeschi8chtliche Wendung seiner Entwicklung zu erzwingen beginnt. Zum ersten Mal in der Geschichte verwandelt sich ihm auf breiter Front das "Reich, das nicht von dieser Welt ist", aus einem Gegenstand bloßen Glaubens in einen Quellbereich nüchtern anzunehmender Erfahrungen.. Und nunmehr wird die Transparenz für die uns innewohnende Transzendenz zur Sinnmitte geistlicher Übung.."

Wie sehr diese Analyse aus dem Jahr 1971 zutrifft, zeigt ein Buch des Psychologen Stephen Grünewald mit dem Titel "Deutschland auf der Couch" aus dem Jahr 2006, dessen Kenntnis ich meiner Lebensgefährtin Erika Weiss-Weber verdanke. Grünewald schreibt dort u.a. "In unserem Land ist die Mehrheit der Bevölkerung zutiefst unzufrieden. Aber nicht ökonomische Gründe stehen im Vordergrund, sondern das Gefühl der Orientierungslosigkeit, des mangelnden Lebenssinns, der ständigen Überforderung. Nichts bewegt sich... Wir befinden uns im rasenden Stillstand. - als Einzelne und als Gesellschaft. Das Paradies der tausend Möglichkeiten entpuppt sich immer mehr als ein alle Kräfte verschlingendes Sinnvakuum.. Das bedeutet für den Einzelnen und die Gesellschaft, ein neues Maß zu finden zwischen der sturen und unseligen Druchhalteborniertheit, die die Generation der Großväter noch als Generaltugend in Stein gemeißelt hat, und der heutigen umtriebigen Sprunghaftigkeit, die ihre Lebensangst als Flexibilität feiert."

Die individuelle Sinnfrage kann nur in kleinen Einheiten der Familie, der Vereine oder Unternehmungen wie z.B. SATYAKAMA behandelt werden.




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